Wer immer sich für Gestaltung begeistert, verspürt bisweilen diesen Zwiespalt. Einerseits das ernsthafte Gestalten mit dem Ziel Schönheit und Nutzen sinnvoll zu versöhnen; andererseits so viel frenetisch beklatschte Nutzlosigkeiten, deren Wesen sich in Frivolitäten, Ironie und Eitelkeit erschöpft zu schaffen.

 

In der Brust des Münchner Industriedesigners David Lehmann scheinen zwei Herzen einträchtig zu schlagen. Das eine konzeptuell, das zweite industriell.

 Sein Credo “das Offensichtliche ‘nichtoffensichtlich’ zu machen, indem er es hinter dem Offensichtlichen verbirgt” zeitigt Ergebnisse, die als simpel aber nicht simplizistisch, als raffiniert aber niemals schwächlich, von Nützlichkeitsdenken geprägt, aber als mit Poesie aufgeladen beschrieben werden.

Lehmann (* Wuppertal in 1985) hat Industriedesign an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste studiert, assistierte vor und während des Studiums dem Bildhauer Tony Cragg in Wuppertal und wurde 2009 doch tatsächlich als Praktikant bei dem Amsterdamer Designerstar Marcel Wanders angenommen. Lehmann arbeitet seit 2014 in seinem eigenen 30 m2 ‘großen’ ‘Atelier 15’, Teil einer 6000 m2-Etage in München-Obersendling (‘Siemens-City’).

Lehmann entwirft Produkte aus Holz, Glas, Porzellan, Metall und ja – Sie lesen richtig – einer Nanoflüssigkeit und reist zu Werkstätten in ganz Deutschland um diese umzusetzen.

 

Schönheit vs Nützlichkeit

In einer Übergangszone zur Konzeptkunst bewegt sich Lehmann mit der ‘Split Second Series’: Eine chemisch gepimpte Art von Seifenlauge erlaubt schillernde Seifenblasen, die glatt zwei Wochen das Auge erfreuen – bevor ihr Platzen als um so spektakulärer erlebt werden kann. “Es ist keine von mir erfundene Flüssigkeit, sondern eine Nanoflüssigkeit die eigentlich Metall elektrolytisch polieren sollte. Ein Forschungsüberbleibsel, das ich nutzen kann.”

 

Was ist denn bitteschön die ‘Ephemere Bowl’?

Da muss Lehmann ein wenig ausholen: “Seifenblasen gibt es seit über 5000 Jahren und sie waren immer schon mehr als nur ein Nebenprodukt von Reinigungsvorgängen oder eine Kinderbespaßung. Sie wurden zu einem Sinnbild für die Vergänglichkeit des Schönen und des Lebens an sich.

Eine Seifenblase zu erzeugen, schafft etwas ebenso Schönes wie Zerbrechliches, von dem wir wissen, dass es nur für kurze Zeit bestehen wird.

‘Ephemere’ ist eine Art Seifenblase aus der ‘Split Seconds’-Serie, die aus Produkten besteht, die – einmal in Gebrauch – nur sehr kurze Zeit haltbar sind. Es gibt einen kurzen Augenblick – so flüchtig, dass er für das menschliche Auge wahrnehmbar wäre – in dem die Schüssel ihre Funktion erfüllt und eben dadurch unmittelbar zerstört wird.

Nanoflüssigkeit zur Erzeugung der Blasen Ø 25cm – 30cm (oder jedes andere gewünschte Maß) Einzigartige Konzeptarbeit

“Im Grunde ist die ‘Ephemere Bowl’ ein ‘Memento Mori’ das die Vergänglichkeit und die Perfektion verdeutlicht und dann die Ungewissheit bewusst macht, wann dies ein Ende hat. Von Oktober 2010 bis März 2011 war ich Praktikant bei nendo in Tokyo. Die ‘Ephemere Bowl’ entstand nachdem ich das Erdbeben von Fukushima miterleben musste.”

2016 waren die Edelsattler von Hermès von den Seifenblasen so begeistert, dass sie Lehmann kennen lernen wollten.

“Die Philosophie die mit meiner ‘Ephemere’ einhergeht wurde von der Ur-Ur-Ur-Enkelin des Firmengründers hierry Hermès, Madame Pascale Mussard entdeckt und sie wollte mir dafür ein Forum bieten. Für mich war es im Grunde immer ein Traum mit einer Firma wie Hermès zusammen zu arbeiten. Auch weil Hermès, was selten geworden ist, immer noch alles in Frankreich produziert, und das in höchster Qualität mit eigens ausgebildeten Mitarbeitern.”

 

Fünf Exponate

Die Reitstiefel als Verkörperung des Traums vom Fliegen. Die Seifenblasen an den Fersen sind eine Hommage an die Sandalen des griechischen Gottes Hermes. Seit jeher war es ein Traum des Menschen fliegen zu können, doch selbst die Götter konnten nicht fliegen. Das konnte nur Hermes Dank seiner geflügelten Fersen. Ikarus klebte sich Flügel mit Wachs an, kam aber der Sonne zu nah und scheiterte. Heute ist fliegen alltäglich. Das Unerreichbare, nur zu Erträumende muss verfolgt werden, um es umsetzen zu können.

Ein Chronograph, der die Zeit anhalten kann. Dieses seit Urzeiten erträumte Paradox findet seinen idealtypischen Ausdruck in der Idee des Jungbrunnens. Ewig leben, ewig schön sein, für immer jung. Ein Fluch. Denn Zeit gibt es nicht und ein Leben ist lebenswert genug.

Die Kristallvase Sehe ich die Seifenblase oder ist ist es vielmehr ihr Schatten und die Reflektion die mich sehen lässt, was nur eine Nanomillimeter dünne Haut bildet. Wie nehme ich Dinge wahr und was möchte ich wahrnehmen? Oder besser gesagt, was nicht und wie bewerkstellige ich dies?

Die Ledertasche zeigt das ganze ‘Savoir-faire’ von Hermès in der Umsetzung der Tasche und, wenn man sich intensiver mit dem Thema elektrolytischem Polieren auseinandersetzt, der Herstellung einer fantastischen Flüssigkeit. Das eine Traditionshandwerk, welches fortlebt, das andere eine Tätigkeit, so präzise dass ihre Ausführung durch Menschenhand nicht vorstellbar wäre.

Das Seidentuch, gewebt aus Fäden, gut 50 Mal dünner als ein Menschenhaar, ist es Inbegriff der Leichtigkeit in der Produktwelt – und ein geradezu unwirkliches dazu, wenn man den Arbeitsaufwand in Betracht zieht. In diesem Fall geht es lediglich um die Leichtigkeit der Dinge, auch im übertragenen Sinn.

 

Seine reinweiße Porzellan-Serie ‘Vers A Tile’, bei der viele Teile Mehrfachnutzen bieten, lässt Lehmann bei der Thüringer Porzellanmanufaktur Reichenbach produzieren. Allen Teilen gemein sind die irgendwie ‘japanisch’ anmutenden, angedeuteten Wölbungen, von genau der richtig wirkenden Spannung und Schwere. Der Eierbecher macht sich gerne auch als Espressotasse nützlich und die Teller dienen bereitwillig auch als Deckel für die Schalen. Bone China?

Nein, es ist klassisches deutsches Hartporzellan. Bone China ist ein Weichporzellan das dank des Verglühens von eingebrachtem Knochenmehl noch leichter und noch transparenter wird. Es hat aber einen Rosaschimmer und ist nicht mehr reinweiß.”

Möbel baut Lehmann auch: Und man muss keinen sitzen haben, um dem ungehobelten Charme des shabby-schicken ‘Blank Chair’ zu verfallen- der nicht zufällig auch noch ein ‘Hochstapler’ ist.

Bauplan Stuhl von David Lehmann

Blank Chair Plan

 

 

Der italienische Espresso ist klein und genauso die Tasse dazu, die Bewegung des Umrührens jedoch groß. Das passt nicht zusammen, fand David Lehmann und entwarf den ‘Giracaffè‘, dessen einzige Aufgabe es ist, den Espresso umzurühren. Und zwar so, wie es ihm vom `Istituto Nazionale Espresso Italiano` vorgegeben wurde.

“Auch wenn man Espresso klassisch ohne Milch oder Zucker trinkt, man rührt ihn trotzdem immer um. Ein guter Espresso hat nämlich etwa 600 verschiedene Aromen, hinzu kommen die verschiedenen Stufen an Bitternis und Säure die sich während des Espressoziehens bzw. -machens langsam abwechseln. Daher ist der Rollmoment in der Tasse entscheidend und ein nochmaliges Umrühren extrem wichtig, um den Espresso in der vollen Breite schmecken zu können. Der Giracaffè ist also ein Espressorührer.”

 

Fünf Fragen an… David Lehmann

   1. Spuren einer Schule. Wie hat die Akademie der Bildenden Künste (AdBK) Stuttgart David Lehmann ins Leben entlassen?

 Das Studium in Stuttgart zeichnete für mich durch einen nahezu autodidaktischen Ansatz aus. Glücklicherweise ist hier das Diplom noch nicht unter die Räder gekommen und das Studium verschult worden. Die Möglichkeiten der Werkstätten der Akademie für Buchsatz, Siebdruck, Glasblasen, Schreinern, Schlossern, Steinbearbeitung und Textildesign habe ich umfassend genutzt. Das ergab ein sehr breites Bild auf die Produktwelt und man musste selbst den Ehrgeiz haben um etwas zu verfolgen. Die Studiengänge sind klein und selektiert, sodass viele gute Leute aus verschiedenen Richtungen zusammenkommen. Bei den Architekten zum Beispiel habe ich meine Frau kennengelernt.

 

   2. Reisen bildet: Souvenir Formsprache: Cragg vs Wanders vs nendo

 Reisen bildet zweifelsohne. In erster Linie ist es für mich das Erforschen der Kultur womit sich für mich die essentielle Frage stellt: „Was zeichnet den Alltag der Menschen aus?“. Um solche Fragen irgendwann einmal mit Produkten beantworten zu können, muss man länger in diesen Kulturen leben um sich in Alltagssituationen zu bringen, wie zum Beispiel in die Arbeitswelt.

Was ich aber bei Tony Cragg über Jahre erlernen durfte, war der Unterschied zwischen Kunst und Design. Es wird sehr gerne von einer ‘Schnittstelle’ beider Kulturformen gesprochen, in meinen Augen ein sehr leidiges Thema. Eine ‘Ephemere’ lässt sich zwar einen Bruchteil einer Sekunde nutzen, aber auch ein Papiertaschentuch ist schnell verschwunden. Meine konzeptionellen Produkte haben natürlich eine andere Aussage als ein Taschentuch, verfolgen aber in meinen Augen durchaus Gedankenstränge die zu Produkten führen.

Die Zeit bei Marcel Wanders in Amsterdam war fantastisch. Ich durfte das gesamte dritte Stockwerk einer alten Bibliothek von 800m2  an der Prinsengracht in Amsterdam bewohnen, heute ist das das Luxushotel ‘Andaz’. Dann kamen Projekte die mit einer Naivität angegangen wurden, die überall hinführen konnte und gerade deshalb so genial war. Und schlussendlich kam es zur persönlichen Zusammenarbeit mit Marcel Wanders und vielen Freundschaften die immer noch bestehen. In Toyko bei ‘nendo’ war es im Grunde sehr ähnlich, bis auf ein Bett im Vierbett-Zimmer und eine andere Arbeitsweise, die sich in Deutschland nie durchsetzen wird: Ein Arbeitstag, der 14 Stunden verlangt und kein Wochenende kennt, geht unweigerlich auf das Gemüt, die Effizienz und immer zu Lasten des Privatlebens.

 

   3. Brennende Interessen: Porzellan und ganz klar: Glas. Und sonst? Holz arbeitet?

 Mein Interesse gilt nicht einem Material. Ich nutze gerne den Begriff des ‘materialgerechten Entwerfens’, der natürlich darin resultiert, dass bestimmte Anforderungen von bestimmten Materialien erfüllt werden und somit in meinen Augen viele Produkte auf dem Markt verfehlt sind. Ich bleibe meistens in einem Material und setze mich mit ihm so lange auseinander, bis ich denke das Produkt gefunden zu haben das auf dieses Material passt und vice versa.

Bild von Gläsern

Eclipse Crystal Glass

Holz arbeitet, ja. Wörtlich genommen ist es in der Tat so, dass durch die Arbeit mit einem ‘lebenden’ Werkstoff Lösungen gefunden werden müssen, welche die holztypischen Schwindungen mitmachen oder ausgleichen. Die Lösungen dafür sind mannigfaltig und füllen in Deutschland Bände. Tradition muss nicht konservativ sein.

 

  4. Schön vergänglich: ‘Ephemere’ = Zen?

 Ich habe mich, muss ich gestehen, nie intensiv mit der Philosophie des Zen beschäftigt. Die fast unwirklichen Moos- oder Steingärten der japanischen Tempel habe ich natürlich bewundert. Aber ich entstamme einem anderen Kulturkreis und bin diesem auch verhaftet. Die Unterschiede zwischen den Kulturen und ihren Bräuchen machen auch den Unterschied und die Besonderheit aus, die sich seit jeher in Produkten manifestiert haben. So ist die ‘Ephemere’ für mich ein Memento Mori, eine Aufforderung inne zu halten und sich das Jetzt bewusst zu machen, wie auch die Vergänglichkeit der Dinge und einem selbst. Als Kind hatte ich nie verstanden, warum Philosophen und Denker mit Schädel in der Hand zu sehen sind. Hat man aber selbst einen echten Schädel in der Hand, dann wird es einem ohne Zweifel bewusst.

 

  5. Keramik kleben? Tut man das? Falls ja, was verbindet Sie mit ‘Kintsugi’?

 Das ‘Kintsugi’ ist eine ur-japanische Technik, welche die Keramik im höchsten Maße ehrt. ‘Kin’ bedeutet Gold, ‘tsugi’ ist das Zusammenfügen. Technisch bedeutet es, eine zerbrochene Keramik mit Hilfe eines Baumharzes wieder zusammenzufügen, das härter wird als die Keramik selbst und mit echtem Gold bepudert wird. Es kann ein Riss sein oder auch ein fehlender Teil des Gefäßes der durch Harz ersetzt wird, sodass ein Gefäß weiter nutzbar bleibt, welches schon so lange und so gut gedient hat das man es nicht missen möchte. Das Verständnis, was es eigentlich bedeutet ein keramisches Gefäß herzustellen, ist heute kaum noch anzutreffen, da kaum noch kommuniziert wird was den Unterschied in der Qualität ausmacht.

 

Zusatzzahl:

 

  6. A propos Porzellan: Was haben Sie am liebsten auf dem Teller?

 Ein Lieblingsgericht gibt es da nicht. Vom israelischen Spinat-Brotsalat über ‘Tako-yaki’ zum Steak mit etwas Salz und Gratin bis zu Kürbisgnocchi mit Salbeibutter ist alles dabei. Ein gutes Gericht setzt immer die Qualität der verfügbaren Produkte optimal in Szene. Ich esse also am liebsten saisonal. So macht der beste Rotwein auch die beste Soße und die besten Erbsen isst man auch gerne einfach so. Ich mag alles was mein Bruder auftischt, er ist ein begnadeter Koch.

 

 

Studio David Lehmann
studiodavidlehmann.com