Leidenschaftlichen Pop-Adepten sind Namen wie ‚Gorillaz‘, ‚Monkey‘ und ‚Tank Girl‘ geläufig. Aber mit dem Zeichner Jamie Hewlett der diese genialen Cartoon-Charakter ersonnen und gestrichelt hat, ist es ein wenig wie mit den Wesen aus Fleisch und Blut, die sich hinter den Gorillaz verstecken. Man weiß eigentlich recht wenig über sie.

Wer’s genau wissen will, dem sei der fette, knallrot gewandete Bildband von TASCHEN empfohlen. Dass er auf deutsch, englisch und französisch betextet wurde, kann der Wahrheitsfindung nur dienlich sein.

Jamie Hewlett: Kink and Ink – Männerphantasien

Erst etwa auf Seite 10 des sparsam nummerierten Werks erfahre ich in einem Zwiegespräch zwischen Jamie Hewlett (3. April 1968 in Horsham, West-Sussex) und dem französischen Starfotografen Jean-Baptiste Mondino, wie der Titel lautet: „Works From The Last 25 Years“.

In eben dieser Kaminplauderei kommt auch en passant raus, dass Hewlett mit MAD-Heftchen großgeworden ist und mit seinem greisen Gesprächspartner eine Vorliebe für die beefigen Matrosencartoons von Tom of Finland und den Italo-Cartoonisten Liberatore teilt. Sowohl in den muskulösen Cruisern wie im brutalgeilen ‚Ranxerox‘ des Italieners ist jede Menge Musik. Bei Hewlett liegt nahe, dass Punk ein wichtiger Einfluss war. Und natürlich Manga.

Tank Girl Cartoon

Tuschzeichnung sturmzerzauster Kiefernbäume

Post-apokalyptische Panzerbraut

Wen das grüne Nachbild der knallroten Seiten nicht stört, der/die darf sich auf ausführliche Stilproben von 12 Hewlett-Heroes mit kompletten Stripstories freuen. Characterstudies, freie Illustrationen und Studien von an japanische Tuschen gemahnenden windzerzausten Kiefernbäumen zeigen das ganze Spektrum der grafischen Skills eines Mannes, der seine ersten Sporen als juveniler Herausgeber eines Comic-Zines verdient hat. ‚Tank Girl‘, eine Koproduktion mit seinem alten Kumpel Steve Dillon, hatte schon 1988 als Titelgirl die Erstausgabe Magazins ‚Deadline‘ Premiere. Die struppige Version einer post-apokalyptischen Pippi Langstrumpf marodierte sieben Jahre durch ‚Deadline‘ und erlangte als Symbolfigur radikalisierter junger Frauen popkulturellem Weltruhm. Als gezeichnete Stilikone inspiriert die kettenrauchende Panzerfahrerin die Outfits von Courtney Love, Vogue und New Order und schafft es 1995 sogar in die Kinos.

 Illustration mit der virtuellen Band 'Gorillaz'

Menschenaffen

Prägend sollte die WG-Episode mit Blur’s Damon Albarn in Londons Hipviertel Westbourne Grove werden: Aus dem Ärger über den hörbaren Mangel an Street Credibility der meisten MTV-Acts entstehen 1998 erste Skizzen für die virtuelle Popband ‚Gorillaz‘. Hewlett entwickelt die vier Bandmitglieder 2D (Vocals/ Keyboards), Murdoc Niccals (Bass), Noodle (Gitarre) und Russel Hobbs (Drums). 2000 erscheint die Debüt-EP ‚Tomorrow Comes Today‘ mit einem gezeichneten Video von Hewlett. Ihren Zweitling präsentieren die Gorillaz auf einer Tour durch GB und Europa. Die ‚echte‘ Band spielt unsichtbar hinter einer Leinwand, auf der ihre Cartoon-Pendants agieren. Der Siegeszug des virtuellen Quartetts soll 2002 bis 2006 in MTV-Music Video Awards, einem Grammy, und einem MTV Europe Music Award gipfeln. 2011 sind die Gorillaz bei den GQ-Awards ‚Band of The Year‘.

2006 kürt das Londoner Design Museum Hewlett zum „Designer des Jahres“ und 2009 wird er mit Albarn für einen Affenanimationsfilm für die Olympischen Spiele in Peking. Zusammen mit Albarn brachte 2007 er die Oper ‚Monkey – Journey to the West‘ nach einem chinesischen Roman auf die Bühne.

 Magisch-realistische Tarotkarten von Jamie Hewlett

Tarot – Mit sehr offenen Karten

Für die Serie ‚Tarot‘, die Hewlett 2015 in der neueröffneten Saatchi-Gallery präsentiert soll ihn seine Frau inspiriert haben. Die hatte ihm beim ersten Rendezvous nämlich die Karten gelegt. Stilistische Basis für Hewletts magisch-realistische Neuinterpretation war das klassische ‚Tarot de Marseille‘.

Honey – Sexy Emma

Hewletts verführerische Gattin Emma de Caunes ist der unumstrittene Star der Serie ‚Honey‘. Mit ihr feiert der Zeichner die von ihm so verehrten erotischen B-Movies der 60er und 70er ab. Die hintergrundbeleuchteten Remakes alter Kinoposter, auf denen ausnahmslos seine Frau als aufreizende ‚Honey X‘ posiert, wurden in der geheimnisvoll abgedunkelten Saatchi-Gallery gezeigt.

Illustration mit Jimi Hendrix, Sid Vicious, Paul Mc Cartney, Elvis Presley

Dieser dicke rote Wälzer illustriert Hewletts künstlerischen Werdegang im Spannungsfeld von Popmusik und britischer Subkultur und präsentiert 400 Arbeiten von Tank Girl über die Gorillaz-Ära bis heute. Wer die Muße hat, sich an Skizzen, unfertig wirkenden Entwürfen, Character-Sheets und Strips zu laben und sich in die interessanten Texte zu vertiefen, lernt viel Neues über das knarzig-zynische Personal eines Ausnahmezeichners und bekommt mit diesem Band die Vollbedienung.

 

 

Jamie Hewlett

Julius Wiedemann (Hrsg.)

TASCHEN
Hardcover, 25 x 31,7 cm, 424 Seiten
Deutsch, Englisch, Französisch

40,-€

ISBN 978-3-8365-6093-1

Bildquellen: Taschen Verlag, Köln