Die Niederlande sind das Land der Fahrräder. Wohl kein Volk der Welt bewegt seine Drahtesel mit solcher Grazie – und das bei stetigem Gegenwind und jedem Wetter. Große niederländische Marken wie Gazelle, Batavus, Sparta haben ihren Preis und sind dennoch auch in Deutschland begehrt.
In der niederländischen Grenzstadt Venlo hat sich Lucas Brinkhaus auf den Bau origineller Unikate aus gebrauchten und neuen Rahmen und technischen Teilen spezialisiert.
Brinkhaus, der ein Industrie Design-Studium an der Design Academy in Eindhoven absolviert hat, baut seit 2010 ‘Droomfietsen’ ganz nach Kundenwunsch und pendelt stilistisch zwischen nostalgischem Steampunk, technisch geupgradetem Shabby Chic und nostalgisch inspiriertem Retrolook. Was er aus seiner Werkstatt ins Tageslicht schiebt, ist stripped down to the max, verströmt die Aura integraler Manufaktur-Qualität und trägt mit Stolz das Markenschild ‘BRINKHAUS EST. 2010’.
Wir haben dem blondgelockten Upcycler, Refurbisher und Zweirad-Designer in seiner Werkstatt am Ufer der Maas besucht und ihm auf den Zahnkranz gefühlt.
Warum arbeitet ein Talent wie Du nicht in Singapur oder Mailand?
Ein Aspekt des Gestaltens ist für mich auch die Ausführung. Ich sehe des Öfteren wie interessante Projekte aufgrund ihrer Umsetzung, falscher Materialwahl oder Kabel, die nicht oder unzureichend verbaut wurden, sterben.
Ich glaube, man muss sich auch in den Kunden hinein versetzen: wo nutzt der das Rad und wie ist da die Infrastruktur? Die Fahrräder die ich baue, haben vorwiegend ‘niederländische’ Fahrräder als Ausgangspunkt.
Woher kommt Deine Faszination für Perfektion in Technik und handwerklicher Ausführung? Hattest Du mal einen Beruf gelernt?
Das Funktionieren eines Produkts gehört zum Erlebnis und damit auch zur Formgebung. Ich ertrage es nicht, wenn Schrauben verbaut werden die nach ein paar Wochen schon rosten.
Erzähl mal was über die Quellen Deiner ‘Retro’-Ästhetik.
Ich will Fahrräder nicht per se ‘retro’ nennen, eher ‘zeitlos’. Ich verarbeite viele Produkte die sich bewährt haben. So zum Beispiel den ‘Brooks’-Sattel. Der sieht zwar ‘retro’ aus, ist aber in vielen Fällen einfach der komfortabelste Sattel.
Wie entsteht ein Brinkhaus-Rad? Womit fängt alles an?
Im Grunde teilen sich die Kunden für ein neues Fahrrad in zwei Gruppen: Entweder ist es ein Kunde, der ein neues Fahrrad sucht oder einer der schon ein altes Rad hat, an dem er hängt oder sogar ein Erbstück besitzt.
Ich bespreche mit dem Kunden, wie er das Rad nutzen will und was ihm an anderen Rädern gefällt. Bei der Restauration alter Fahrräder überlegen wir immer auch, ob wir einzigartige Bauteile wieder verwenden. Daraus ergibt sich dann eine Teileliste, die ich zu einem personalisierten Angebot verarbeite.
Nimmst Du auch schon mal einen alten Rahmen mit der Lötlampe auseinander?
Die Auswahl an neuen grundsoliden (‘holländischen’) Rahmen ist riesig. Da lohnt es sich nicht, einen kompletten Rahmen selbst zu schweißen oder zu löten. Schweiß- oder Lötreparaturen machen wir allerdings immer wieder, zum Beispiel für Gepäckträger nach Maß. Sehr ausgefallene Projekte, wie zum Beispiel das Klavierfahrrad oder ein extra heavy-duty Lastenrad schweiße ich schon selbst.
Ur-niederländische Wertvorstellungen, gibt es die? Und falls ja, wie übersetzt man die in ein Brinkhaus-Fiets?
Niederländische Werte… vielleicht die Schlichtheit? Die Bauteile niederländischer Hersteller sind solide, aber ich verarbeite auch gerne technisch verfeinerte Bauteile aus Deutschland. Eine winzige, aber leistungsstarke Frontleuchte, das ist super Hi-Tech, passt aber perfekt oder bildet einen reizvollen Kontrast zu einem klassischen Rahmen.
Was genau bedeutet für Brinkhaus der Begriff ‘custom’.
Sie sagen Ihren Plattenwunsch, wir legen Ihn auf… Ich glaube nicht dass man, wenn man in ein normales Fahrradgeschäft geht, genau dem gesuchten Rad begegnet. Man ist doch an gewisse Farben, Maße und die Standardverarbeitung des Rades gebunden.
Ich fange sozusagen mit einem leeren Blatt Papier an. Wir suchen den Rahmen aus, das richtige Maß, die Farbe in matt oder glänzend oder sogar mit Struktur oder speziellen Effekten. Gangschaltungen, Reifengröße und- Farben, Bremsentypen manchmal bis hin zum Ventilkäppchen… alles ist dann ‘custom’.
Woher kommen die Bauteile, Sperrmüll, Schrott?
Die Bauteile beziehe ich von verschiedenen Großhändlern. Nicht jeder hat ja dasselbe Sortiment. Ok, vielleicht ist manches gut genug um mal ein Rad zu reparieren, aber nicht gut genug um genau das Fahrrad zu bauen, wie es mit dem Kunden besprochen worden war. Was allerdings lustig ist, dass ich mal eine Reihe klassischer, aussortierter, abgeschriebener Fahrräder beim Depot der Stadt Venlo gekauft habe, aus denen ich dann ‘neue’ Räder gebaut habe. In der Praxis kommen aber die Kunden meistens mit einem eigenen Fahrrad(-wrack) um sich dann genau dasselbe Make-Over machen zu lassen.
Deine Rahmen wirken manchmal ein bisschen exotisch. Aber Du hast sicher gute Gründe für Konstruktionen wie das ‘Brown Iron Horse’ mit seinem versteiften Berceau-Rahmen oder das ‘Haagse Maron’.
Ich setze regelmäßig neue Kreuzrahmen ein, die ja eigentlich schon längst aus dem Straßenbild verschwunden waren. Mal abgesehen davon, dass die mehr ‘retro’ sind als normale Herrenrahmen, sind sie auch steifer und das waagerechte Rohr liegt etwas tiefer, was ja ein bisschen bequemer ist. Die Damen-Kreuzrahmen sind auch sehr beliebt, auch sehr steif und sehr praktisch. Und sie sehen auch cooler aus.
Wo liegen die Ursprünge Deiner Farbpalette?
Alle RAL-Farben in glänzend und matt, Spezialeffekte, Hammerschlag oder Strukturlacke sind machbar. Beschriftungen von zum Beispiel Werbefahrrädern mache ich auch.
Viele Kunden wollen ein Rad das ich vorher schon mal gebaut habe, aber dieses oder jenes Detail eben ein bisschen anders. So kehren bestimmt Farben häufiger mal zurück. Manche wollen dieselbe Farbe wie ihr Auto. Meist muss dann mit dem RAL-Fächer die Farbe des Leders und der Reifen ermittelt werden.
Was war Dein bisher verrücktestes Produkt?
Das verrückteste Produkt? Als ich nach dem Studium noch für mich selbst gearbeitet hatte, da nannte ich mich Erfinder/ Entwerfer. Und auch jetzt noch denke ich mir noch oft Erfindungen/ Lösungen aus. So auch das Klavierfahrrad, das ich mir ausgedacht und auch gebaut habe. Das ist allerdings eine ganz andere Kategorie als ein ‘normales’ Fahrrad. Es ist ein Hingucker, also sucht man dann irgendwie eine Mischung aus Formgebung und Funktionalität. Außerdem war auch noch die kompakte Bauweise eine Vorgabe. Das Resultat war dann, dass man immer mittig hinter den Tasten sitzt – und zwar auf einem Einrad, mit dem man scharf einschlagen kann.
Ist das Fixie eigentlich immer noch so in Mode? Den Trend hab ich ja nie verstanden.
Nach reinen Fixies wurde bei mir eigentlich kaum gefragt. ‘Pure’ Fahrräder wurden da schon häufiger verlangt. Also durchaus mit Bremsen, sportlicher Sitzposition und ein paar Gängen. Die Zweigang-Automatiknabe – ohne Schalthebel und Zug – ist dafür ideal.
‘My first Brinkhaus’ ist wahrscheinlich ein Bestseller?
Obwohl es viele Interessenten gab, habe ich keine großen Stückzahlen verkauft. Ich hatte deshalb auch nur eine Kleinserie aufgelegt. Ein paar habe ich noch. ‘My First Brinkhaus’ gibt es ab 395,-€, mit rohem Edelstahlrahmen, wobei jede Farbe möglich ist.
Kriegst Du auch schon mal Anfragen von Filmproduktionen?
Das nicht, aber ein Rad von mir spielt in einem Clip des niederländischen Pop-Duos ‘Nick & Simon’ mit.
Das legendäre Sparta 8/80 hast Du auch gepimpt. Ist noch Nachfrage nach den antiken Stücken aus den 70ern?
Ich glaube sogar, dass die Nachfrage nach 8/80ern und ähnlichen Klapprädern noch zunehmen wird! Die haben etwas komisch-nostalgisches, aber sie sind auch praktisch und fahren sich komfortabel.
Spritzlappen aus Leder, Reifen die ich noch nie gesehen habe, Griffe, neu verchromte Retrobauteile, Naben und Rohre… Du scheinst ja ein umfangreiches Lieferantennetzwerk zu haben.
Manchmal muss man ganz schön recherchieren um Lieferanten zu finden, die genau das verkaufen, was man grade sucht. Den Großteil bekomme ich bei den normalen niederländischen Zweiradgroßhändlern, aber manchmal muss es ein Reifen mit ganz bestimmter Farbe und Maß sein. So was beziehe ich dann vom größten deutschen Großhandel. Beim kleinsten deutschen Großhändler kriege ich dafür dann aber auch die perfekten japanischen Pedale.
Hast du nie über eine Modelinie in rustikalem Leder und Tweed nachgedacht?
In meinem Kopf geistern so viele Ideen rum. Ich hab auch mal drüber nachgedacht die ledernen Spritzlappen selbst zu machen, mit eigenem, eingeprägtem Logo.
Wie sieht der typische Brinkhaus-Kunde aus? Hast du auch ausländische Kundschaft?
Ein Großteil meiner Kunden kommt aus Venlo. Dann aus dem Einzugsgebiet Eindhoven, Nijmegen, Maastricht, Ruhrgebiet und darüber hinaus. Ich versende Selbstbaupakete und Teile in die ganze Welt.
Was sind die meistgenannten Gründe für die Anschaffung eines Brinkhaus-Rades?
“Ich war bei meinem Fahrradbauer und der hat gesagt: ‘Das geht aber nicht. Da gebe ich mich nicht dran.”
Ich denke etwas weiter als die landläufigen Fahrradgeschäfte. Ich verkaufe bzw. baue, was der Kunde sucht und nicht was ich grade loswerden will. Oft kommen Kunden zu mir weil sie ein grundsolides Fahrrad suchen, spezielle Anforderungen haben oder ein altes Rad, das sie reanimieren wollen. Dann geht alles – vom minimalen Make-Over mit Technikcheck bis hin zur kompletten Restaurierung plus technischem Upgrade oder sogar ein Umbau auf Elektro-Antrieb.
Neben den Rädern die ich selbst baue verkaufe ich auch ein paar ausgefallene Marken mit einer coolen Story: Roetz, zum Beispiel ist eine niederländische Marke die auch alte Fahrräder recycelt – in Serienproduktion in einer Sozialen Werkstatt.
‘Ferander’ Bambusfahrräder mit in Ghana handgefertigten Rahmen aus ghanesischem Bambus haben kein inneres Metallrohr, wie ich oft gefragt werde. Dies ist ein neuer Anlauf eines früheren Versuches in den Niederlanden Bambusräder zu verkaufen. Jetzt kommt grade eins raus mit komplett neuem Rahmen, immer noch in Ghana produziert und in Kiel endmontiert. Mit Ferander und ‘My-Boo’ baue ich im Moment einen neuen Prototypen mit optimiertem Rahmen und solider verarbeitet.
Die ‘normalen’ Räder die ich verkaufe sind von ‘Azor’, einer ziemlich unbekannten Marke. Sehr solide Räder ohne Schnickschnack, im Grunde von der Qualität wie früher Gazelle. Die Konstruktionsfehler ihrer Rahmen lösen sie bei Gazelle heute indem sie die Azor-Konstruktion kopieren. Auch die Lastenräder (‘Bakfietsen’) von www.Bakfiets.nl kommen aus der Azor-Fabrik. Die ähneln sich zwar alle, aber in Sachen Verarbeitung und Materialwahl sind Azor die besten auf dem Markt.
Leute, die einen alten Drahtesel im Schuppen stehen haben, können die bei Dir ein ‘Total Makeover’ kriegen? Und falls ja, wie läuft das dann ab? Und kann man sich das leisten?
Alles geht – im Prinzip zumindest. Zusammen mit dem Kunden mache ich einen Plan für so ein Makeover, immer die Kundenwünsche und das Budget im Blick. Für 400,- € kann ein Rad schon wie neu werden. Dann werden große Inspektionen und Wartungsstau nachgeholt, Teile erneuert. Alles erneuern, mit besseren Materialien geht ab 700,- €. Ich spare lieber nicht an der Qualität. Wenn der größte Kostenposten sowieso der Arbeitslohn ist, dann wäre es doch Quatsch schlechtes Material zu verarbeiten.
Ein nagelneues, leicht ‘customisiertes’, aber sehr solides Rad kriegt man schon für unter 500,-€. Ein Rad, komplett nach Kundenwusch als Rebuild/ Restaurierung kann ich ab etwa 900,-€ liefern.
Die Venloer Kunstinitiative ‘Het Raam’ hat Deine Kreationen sogar mal als Kunstform ausgestellt. Ist so was häufiger vorgekommen?
Vielleicht habe ich Schnittmengen mit Kunst, oder es ist die Kombination mit dem Handwerk… Ich habe an einer ganzen Reihe Ausstellungen teilgenommen: Bei ‘Het Raam’ und schon fünf Mal beim ‘Designday’ in Maastricht. Das ist schön, und ein großer Teil meiner Zielgruppe kommt da auch hin. Im Moment habe ich dafür allerdings zu viel zu tun.
Du nimmst doch auch als Designer Aufträge an. Wie zum Beispiel für das E-Moped von Meijsmotor.
Ich arbeite immer wieder bei der Entwicklung von neuen Projekten mit. Jetzt grade wieder mit der Neuentwicklung dieses Bambusfahrrades. Aber auch an Projekten ganz anderer Art, wie der Gestaltung dieses ‘Meijs Motorman’ habe ich mitgewirkt. Es ist schön zu sehen, wie erfolgreich das Produkt geworden ist und auf der ganzen Welt verkauft wird.
Im Grunde bin ich ja durch meine Examensarbeit ins Fahrradgeschäft geschliddert: ein Fahrrad mit integriertem Fahrradträger, den man einfach auf die Anhängerkupplung klicken konnte.
Letzte Frage: Verkaufst Du auch Diebstahlversicherungen?
Na klar! Natürlich, für die neuen Räder. Und obwohl ich viele Kunden habe, die ein Fahrrad von hohem, emotionalem Wert haben, kann ich den neuen materiellen Wert einfach versichern. Ein neu aufgebautes Rad kriegt euch eine BRINKHAUS-Rahmennummer. Wenn es noch nicht benutzt worden ist, kann es auch eine eigene Rahmennummer bekommen. Da sind Geburtsjahre und Hausnummern sehr beliebt.
Was ist Brinkhaus denn nun: Handwerk, Manufaktur oder Industrie?
Genau, das alles ist es!
BRINKHAUS EST. 2010
Lucas Brinkhaus // BRINKHAUS fietsen
Maaskade 31
NL – 5911 EX Venlo (Q4)
(+31) 6-21447807
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