Selbst Marketingcracks wundern sich: Ganz ohne ihr Zutun hat eine anarchisch anmutende, bunt zusammengewürfelte Eklektik das aktuelle Interiordesign ergriffen. Die subversive Assoziationswolke scheint von Lebensstilen und Ideen eines kreativen, aber armen Milieus inspiriert zu sein, wie es die billigen Viertel von Paris, Algier und New York in den Fünfziger bis späten Sechzigerjahren bevölkert hatte.
Beatniks, Künstler, Folk- und Jazzmusiker mussten jeden Cent drei Mal rumdrehen, wohnten in Souterrains, verlassenen Fabriketagen oder möbliert unterm Dachjucheh und scherten sich einen feuchten Kehricht um bourgeoise Konventionen und stilistische Tabus.
Doch auch die Bohème des ausgehenden 19. Jahrhunderts klingt nach. Ein mysteriöser Hauch von Maleratelier, Harem, Boudoir und Opiumhöhle umweht den neu interpretierten Stilmix und macht sich spätestens Anno 2018 als ziemlich unkonventionelle, wenn nicht gar ganz leicht verruchte Anmutungsqualität nützlich.
Anno 2018 ist dieser gutgelaunte Stilzirkus, den die Möbel- und Interiorwelt kurz und knackig ‘Boho’ getauft hat, zurück und fast scheint es, als würde er wie ein Wirbelwind den protestantisch-nüchternen Skandinavien-Look aufmischen wollen, der in den letzten Jahren in vielen Wohnungen das Bild bestimmte. Schon sichtet man in preiswerten wie auch sauteuren skan-möblierten Umgebungen oder Bauhaus-Ambientes Boho-Elemente, die durchaus angenehm auffallen — wie leicht ausgeflippte, aber total sympathische Partygäste.
Wo erst noch kühle Eleganz, nüchterne Leuchten und geradliniges, helles Holz regierten, da kommt plötzlich Leben in die Bude: Opulent drapierte Vorhänge, pralle Poufs mit Ethnomustern, knuffige Kissen allenthalben, mindestens ein opulent gewölbtes Sofa und knarzender Rattan bestimmen die Szene. Statt hochflorigen Teppichen räkeln sich jetzt nur scheinbar abgelaufene ‘Rugs’ unterm charmant angestoßenen Schnörkeltisch und laden unverhohlen dazu ein die Kohlefaserbirne in einer Blechleuchte aus Marrakesch zu dimmen. Nichts ist hier ‘neu’ oder gar ‘makellos’. Alle Akteure dieser Aufführung sind Individualisten, sie wirken gerne ein wenig angejahrt, denn sie haben ja gelebt. Jetzt erzählen sie von wahren und erfundenen Abenteuern und zeigen ohne Scheu echte und gefakte Benutzungsspuren. Das Gute daran: Boho peppt mit seiner bunten Vielfalt auch gediegene nüchterne Klassiker auf. Der Eames-Chair versteht sich offensichtlich prima mit den Hippie-Rags und auch ein Benz-Klassiker lässt sich nur zu gern von ein wenig Orientalik umgarnen.
Wenn diese wild-weltläufige Formensprache ihren Siegeszug fortsetzt, dann kann es beim Sperrmüll Gedränge geben. Aber zum Glück ist ‘Boho’ bei der imm in Köln ein ganz heißes Thema auf das zahlreiche Hersteller geistesgegenwärtig reagiert haben. Und so sind die nur scheinbar ‘ollen’ Akteure dieser unwiderstehlichen Retro-Nummer auch von renommierten Marken zu haben.
imm cologne 15. Bis 21. Januar 2018
http://www.imm-cologne.de
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