Frau Gummert-Hauser,

seit unseren Studentenjahren hat sich die Welt unter uns weitergedreht und es scheint, als rotiere sie immer schneller. Der DESIGNBOTE würde gerne mit Ihnen in den Rückspiegel blicken, ein wenig im Jetzt verharren und einen Blick in die Glaskugel riskieren. Sind Sie dabei?

“Der Blick in Glaskugeln ist nicht meine Expertise – die Gestaltung des Jetzt mit Blick auf zukünftige Anforderungen schon eher.”

 

Sie haben in den Achtzigern an der FH Düsseldorf studiert. Was sind für Sie seitdem die radikalsten Veränderungen in den kreativen Studiengängen?

“Ganz klar die Digitalisierung. Begonnen mit der Digitalisierung der Werkzeuge, über die Digitalisierung der Medien bis hin zu einem digitalen Leben, aus dem wir uns nicht mehr wegdenken können. Und die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge und der damit einhergehende, breite politische und gesellschaftliche Konsens auf einen Kurs, der auf Effizienz und Leistung beruht. Dieses Rad dreht sich zum Glück nun auch wieder in eine andere Richtung.”

 

Ich selbst habe von 1974 bis 1976 an der FH Niederrhein Industrie Design studiert und 1979 mein Examen an der Folkwangschule gemacht. Anno 1974 wurden noch Bleistifte aller Härtegrade gespitzt, jede Menge Deutsche Mark für Filme, Papiere und Magic Marker ausgegeben. Semesterdokumentationen wurden auf der Schreibmaschine mit Karbonband auf Transparentpapier gehackt, davon hat man Lichtpausen machen lassen und dann Fotoabzüge aus der eigenen Dunkelkammer einmontiert. Welche Anforderungen stellen sich heute, von denen wir damals vielleicht noch keine Ahnung hatten?

“Neben den gestalterischen Skills müssen jetzt auch noch jede Menge Programm- und nach Möglichkeit sogar Programmierkenntnisse erworben werden. Arbeitgeber verlangen heute schon im Praxissemester wesentlich mehr als Handreichungen und den Blick über die Schulter. Die große Herausforderung ist es, das Gestalten nicht zu vergessen, ob all der technischen Kenntnisse, deshalb macht das Anspitzen von Bleistiften natürlich weiterhin Sinn. Hier sind wir ganz bei uns – können ausprobieren, gestalten, experimentieren und nachdenken.”

 

Wenn man von der Alb kommt, was hat man beim Umzug ins katholische Rheinland im Gepäck?

“Mut, Ideen, leicht calvinistische Deformationen – und natürlich auch Rezepte für Spätzle und Kartoffelsalat.”

 

Bringen Sie Ihren kaufmännischen Hintergrund bei der Wissensvermittlung ein? Sind kaufmännische Skills Teil des Studienplans?

“Sicher nicht bei der Vermittlung typografischer Grundlagenkompetenzen. Aber später bei den Projekten: Wir brauchen einen Terminplan für das Projekt und ebenso wird die Frage gestellt: Cui bono? Wem nützt dein Entwurf und wer bezahlt dafür? Die Studierenden müssen sich über eine Realisierbarkeit, Verwertbarkeit und den Kostenrahmen im Klaren sein. In Weiterbildungsworkshops beschäftigen sich die Studierenden auch intensiv mit Fragen der Kalkulation und auch der Selbstvermarktung. In einem Meer an Gestaltern und Mediengestaltern muss man sehr genau an seinem Profil arbeiten, um nicht unterzugehen.”

 

Mal ein ganz blöde Frage: Ist Dekanin ein Fulltime-Job?

“Ja.”

 

Wie intensiv arbeiten Sie als Gestalterin?

“Als Gestalterin arbeite ich nach wie vor, aber natürlich nicht mehr mit einem üppigen Zeitbudget ausgestattet. Unter dem Label »Lit & Mix« vertreibe ich zum Beispiel einen von mir gestalteten Design-, und Musik-Kalender, und nach wie vor gestalte ich mit Hingabe umfangreiche Katalogprojekte.”

 

Welche praktischen Kenntnisse bringen Studienanfänger heute mit? Sehen Sie neben Abiturienten auch junge Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung, z.B. als Handwerker?

“Zu wenig. Besonders im Studiengang Produkt- und Objektdesign fehlt bei den Anfängern oft ein handwerkliches und auch dreidimensionales Verständnis. Aber klar, es gibt natürlich auch den Schreiner, der dann zum Glück zu uns findet und hier studieren möchte.”

 

Sie schreiben für Slanted und Design Made In Germany. Worüber zum Beispiel?

“Für Slanted habe ich zu Beginn der Blog-Zeit (2007–2010) sehr viel geschrieben, meist fachliches rund um das Thema Typografie, Rezensionen zu Schriften und Ausstellungen. Für Design Made in Germany schreibe ich manchmal – hier finden Sie einen Artikel zum Thema Storytelling: https://www.designmadeingermany.de/2015/84977/ oder hier, ein Plädoyer für Fehler: https://www.designmadeingermany.de/2013/19398/

 

Pflegt die Hochschule Niederrhein Krefeld, speziell im Bereich Design, grenzüberschreitende Kontakte z.B. nach Venlo, Antwerpen oder Eindhoven?

“Einzelne Kolleginnen und Kollegen initiieren und führen manchmal Projekte durch, aber es gibt keine verstetigten Kontakte.”

 

Was spricht für ein Studium an der Hochschule designkrefeld?

“Die hohe Betreuungsqualität der Studierenden durch die Kolleginnen und Kollegen, eine familiäre Atmosphäre, hervorragend ausgestatte Werkstätten, und unser Campus – entworfen von dem berühmten Architekten Bernhard Pfau, ist natürlich für Menschen die an Gestaltung ein echtes Interesse haben sensationell.”

 

Gibt es eine interdisziplinäre Zusammenarbeit unter den Studiengängen B.A. Kommunikationsdesign, B.A. Produkt- und Objektdesign und zwischen den Standorten MG und KR? Ich denke hierbei z.B. an Ingenieure und Gestalter.

“Im letzten Semester gab es beispielsweise eine sehr interessante Kooperation mit dem Kompetenzzentrum FAST der Hochschule Niederrhein (Forschung für intelligente Assistenzsysteme und -technologien) und dem Fraunhofer inHaus-Zentrum. Designstudierende konzipierten, betreut von Prof. Nicolas Beucker, Anwendungs- und Nutzerszenarien für „intelligente“ Produkte.”

 

Was darf ich mir unter M.A. Design vorstellen?

“Der Masterstudiengang ist ein dreisemestriger Projekt- und Themen-Masterstudiengang für Design & Gesellschaft. Studierende werden auf Führungspositionen vorbereitet, entwickeln human- und gesellschaftswissenschaftliche Designperspektiven und verbinden die Designpraxis mit der Wissenschaft. Das Besondere ist nicht nur das Curriculum mit den integrierten Humanwissenschaften sondern auch, dass sich nicht nur Designer sondern auch BA-Absolventen aus anverwandten Disziplinen bewerben können – im besten Fall ist eine Interdisziplinarität damit schon in den Teams verankert. Interessierte müssen sich bis zum 15. Dezember mit einem Exposé bei uns bewerben.”

 

Lernen Studenten anno 2017 noch so altmodische Disziplinen wie Freihandzeichnen? Muss man so was noch können?

“Sie lernen das noch – und wir erachten das auch nach wie vor als unabdingbar, um schnell Entwurfsideen zu visualisieren, so dass diese verstanden werden.

Aber auch das ist, wie es immer schon war –  es gibt natürlich Studierende, die können das nicht so gut und bringen dafür aber andere Fähigkeiten mit wie Fotografie, Videoschnitt, Programmierfähigkeiten – damit kann man im Bereich Kommunikationsdesign eben auch punkten.

Im Bereich Produkt- und Objektdesign kommt zum Freihandzeichnen ab dem 2. Semester das Marker-Zeichnen dazu, plus das Zeichnen in 3-D Programmen.”

 

In den Niederlanden schnurrt in den meisten Schulen und Studios ein 3D-Drucker… Welchen Stellenwert hat der handwerkliche Modellbau aktuell an der Hochschule?

“Diese neue Technologie ist immens wichtig, da hier Produkte realisiert werden können, die mit normalem Modellbau nicht zu erreichen sind. Aber natürlich nehmen sie den Studierenden nicht das Denken und Gestalten ab, es sind ja nur Werkzeuge. Wir haben hier am Fachbereich schon länger 3-D Drucker – jetzt gerade bauen wir ein neues 3-D Lab auf – hierfür wurde nochmal kräftig in neue Drucker investiert, wofür wir der Hochschule sehr dankbar sind.

Selbstverständlich legen wir nach wie vor viel Wert darauf, dass der handwerkliche Modellbau erlernt wird. Dafür haben wir in designkrefeld wirklich sehr gut ausgestattete Werkstätten. Studierende müssen Materialkompetenz erwerben und das können sie sicher nicht am 3-D Drucker.”

 

Können Sie was zur Finanzierung sagen? Kennt man die prozentualen Anteile der verschiedenen Studien-Finanzierungsmodelle? Nebenjob, Bafög, Darlehen, Stipendium und eventuell Reichtum… ;8)

“Dazu kann ich leider nichts sagen. Ich weiß jedoch, dass viele unserer Studierenden arbeiten, um sich das Studieren leisten zu können. Das macht ja auch Sinn, sich nicht nur in dem Hochschul-Kokon zu bewegen, sondern Kontakte zu knüpfen in die reale Welt.”

 

Gibt es Erkenntnisse über den Anteil der Absolventen, die tatsächlich als Designer arbeiten? Bleibt die Hochschule mit ihren Absolventen im Kontakt?

“Die meisten Absolventen bleiben beim Design. Einige haben aber während des Studiums ihre Liebe zu Sprache und Text entdeckt und gehen in den Bereich Text und Konzeption, einige wenige verschlägt es ins Projektmanagement und da sind Alumni die für längere Zeit aussteigen um in Familienarbeit zu investieren, wenn sie eine Familie gegründet haben.”

“Für den Kontakt mit den Alumni sorgt unser Hochschulnetzwerk, jedoch sind hierfür auch die »sozialen Medien« ideal. So bleiben wir in losem Kontakt und es lassen sich auch mal schnell Job-Angebote die von Ehemaligen kommen weiter vermitteln.”

 

 

Ist im Buhlen um Studenten eine Konkurrenz privatwirtschaftlicher Hochschulen spürbar?

“Ja und Nein. Es finden diejenigen nicht den Weg zu uns, die eine künstlerisch-gestalterische Eignungsprüfung umgehen wollen. Bei privaten Schulen wird dies nicht gefordert. Wir finden diese jedoch essentiell und versuchen im persönlichen Gespräch mit den Bewerberinnen und Bewerbern herauszufinden, ob ausreichend gestalterisches Potential sowie eine intrinsische Motivation für diese Studienwahl vorliegt.”

 

Mir kommt es manchmal so vor, als seien dem Produkt-Design ein paar Gegenstände des Gestaltens abhanden gekommen. Zum Beispiel geben Mobiltelefone, deren nichts sagende Gehäuse einander immer ähnlicher sehen,  ihre zahllosen Funktionen fast nur via den Touchscreenpreis, während ‘früher’ jede Menge Mechanik via Ergonomie menschgerecht vermittelt werden musste.

“Das kommt Ihnen nicht nur so vor, sondern dem ist sicher auch so. Dafür haben sich neue Arbeitsfelder entwickelt. Sicher gibt es immer noch den klassischen Produktdesigner, der, sollte er sehr gut sein, z. B. in der Designabteilung bei VW landet. Aber es gibt mittlerweile auch den Produktdesigner der sich in interdisziplinären Teams befindet, die komplette Produktwelten inszenieren für Konzerne wie z.B. Henkel. Hier geht es dann von der Raumgestaltung, der Oberflächengestaltung, der Licht- und Soundgestaltung hin zu realen als auch virtuellen Inszenierungen. Ebenso gibt es im Bereich des Urban Design neue Gestaltungsmöglichkeiten, speziell auch für Produktdesigner.”

 

In den Siebzigern, so meine ich mich zu erinnern, wurden – als Semester- wie auch als Abschlussarbeiten – ziemlich viele technisch anspruchsvolle, recht komplexe Projekte realisiert. Wenn ich mich in den letzten Jahren so umgesehen habe, hat mich das Gefühl beschlichen, dass nicht wenige Nachwuchsgestalter eine Flucht ins Dekorative angetreten haben. Liege ich sehr daneben?

“Das mag an der einen oder anderen Stelle so sein – lässt sich jedoch keinesfalls verallgemeinern. Wir vermitteln unseren Studierenden die Notwendigkeit konzeptionellen Denkens, damit einhergehend dann eine Gestaltungsabsicht die einer Strategie folgen muss, um genau dies zu vermeiden: Das Abrutschen in eine beliebige Gestaltung. Wohlstandsdekorateure sind bereits genug vorhanden – auch dank der Demokratisierung der Werkzeuge und mittlerweile günstigen 3D-Druckern kann heute fast jeder zuhause selbst etwas gestalten und ausdrucken.”

 

Was sind für Sie die größten Herausforderungen für das Produktdesign bzw. für das Kommunikationsdesign?

“Die immer kleiner werdende Halbwertszeit von Hardware und Software jeglicher Art, die immer größer werdenden gesellschaftlichen und sozialen Probleme, an deren Darstellung und Lösung auch Designer beteiligt werden müssen um Informationen, Inhalte, Dienstleistungen und Produkte für uns Menschen verständlich zu machen.”

 

Wenn Sie an der Hochschule mit einem Fingerschnipps was ändern könnten, was wäre das?

„Wenn Zauberei im Spiel sein darf, würde ich umgehend die Befristung von Arbeitsverträgen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abschaffen.“

 

Was macht designkrefeld als Studienstandort attraktiv?

“Krefeld ist nah an den kulturellen Zentren im Rhein-Ruhr-Gebiet, nach Amsterdam sind es nur zwei Stunden, am Meer ist man auch in zwei Stunden. Und es gibt günstigen und schönen Wohnraum. Für kreative Geister gibt es viel Interessantes zu entdecken – der Montagstiftung sei an dieser Stelle einmal gedankt für die Entwicklung des Standortes Samtweberviertel.”

 

Der DESIGNBOTE würde gerne mal eine kommentierte Bilderstrecke mit Semester- und Abschlussarbeiten der Hochschule Niederrhein publizieren. Geht da was?

„Sicher! – und bis dahin hoffe ich, dass viele auf unserer Website mal stöbern gehen – und ab Spätherbst haben wir dann auch ein neues Weblayout welches responsiv ist.“
www.designkrefeld.de

 

Nora Gummert-Hauser (Dipl. Des. Visuelle Kommunikation), wurde 1959 auf der Schwäbischen Alb geboren. Nach einer Ausbildung zur Kauffrau hat sie in Düsseldorf an der Fachhochschule studiert. Seit 1987 ist sie selbständig und 2007 wurde sie als Professorin für Typografie und Editorial-Design an den Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein berufen. Sie lebt und arbeitet in Krefeld. http://www.lit-et-mix.de

Autor: Dipl. Des. Wolfgang Linneweber

 

hochschule niederrhein

 

Fotos der Absolventenfeier: Lucas Coersten

 

 

Fotos: Werkschau