DESIGNBOTE Redakteur Dipl. Des. Wolfgang Linneweber hat Designer und Kreative aus Europa und Nordamerika über ihre persönlichen Erfahrungen mit Corona befragt. Er erfuhr Interessantes zu Psychologie, Geschäftsentwicklung, Privatleben, Home-Office, Finanzen und vieles mehr und bekam teils erstaunliche Einblicke.
Die martialischen Beamten der Koninklijke Marechaussée, die bisher an den Grenzübergängen postiert waren, um deutsche Kauftouristen zur Umkehr zu ‘überreden’, sind abgezogen. Im Moment dreht sich alles um unsere Gärten. Am Sonntag war ich mit meiner Frau in einem niederländischen Gartencenter und wir haben Stauden gekauft.
Draußen auf der Heide, die Grenze in Sichtweite, sind mir die ersten vorwitzigen Kartoffelpflanzen angefroren. Es ist wieder viel zu trocken und ich muss bewässern. Gleich werde ich mit dem Motorrad rausfahren und gucken, ob die Kürbispflanzen warm genug eingepackt waren.
Inzwischen habe ich Aufkleber getextet und übersetzt, mit denen niederländische Geschäfte deutsche wie auch lokale Kundschaft freundlich empfangen: “Leuk dat je er bent!” und “Schön, dass Sie wieder da sind!”
Und wie ist das leben im fernen, regnerischen München? Hier berichtet eine Münchner Kollegin von ihrem Leben ‘unter Corona’.
Folge 2. Mirja Kofler, München
Ich bin 34 Jahre alt, Fotografin und wohne seit einem Jahr mit meinem Partner in der „Vorstadt“ westlich von München. Daran musste ich mich nach Jahren mitten in der Stadt erst gewöhnen. Hier fällt man nicht direkt aus der Tür in den Trubel der Stadt, vermischt sich nicht mit einer Masse kreativer Köpfe und hipper Studenten und findet Inspiration an jeder Ecke. Was man hier findet ist Ruhe, um sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Die Uhren ticken ein bisschen langsamer, die Luft ist frischer, nach 5 Minuten Fußweg blicke ich in die unendliche Natur.
Die Stadt fehlt mir trotzdem. Deshalb hatte ich mir Ende 2019 ein Büro gesucht und wahrscheinlich das beste in ganz München gefunden: Eine Bürogemeinschaft am Goetheplatz, bestehend aus größtenteils Fotografinnen und Kreativen in meinem Alter. Mittags wird gemeinsam gekocht und auf der Dachterrasse gegessen, jeder arbeitet unglaublich konzentriert und produktiv und zwischendrin gibt man sich nötiges Feedback oder einen kreativen Anstoß. Und wenn ich nach Hause komme, genieße ich umso bewusster die Ruhe. Ich hatte für mich die perfekte Balance gefunden.
Wie sieht dein Arbeitsplatz jetzt aus?
Mein Arbeitsplatz zuhause sieht inzwischen wieder genauso aus wie vor Januar, als ich ins Büro in München zog: mein Schreibtisch steht im Wohnzimmer, ich blicke auf geometrische Architektur, ruhige Linien, so wie ich sie mag. Ich sehe blauen Himmel und Bäume. Und wenn ich mehr davon sehen will, setze ich mich mit einem Kaffee auf unseren Balkon, auf dem ich in den letzten Tagen ganz schön viele Kräuter und sogar Salat gepflanzt habe. Nicht nur weil ich gerne im Garten arbeite, sondern auch weil ich aktuell viel mehr Zeit dafür habe und diese auch nutze. Auch mein Tagesablauf ähnelt wieder sehr dem vom letzten Jahr. Meinen Computer und das Nötigste hatte ich mir kurz vor den verordneten Kontaktbeschränkungen aus dem Büro geholt. Meine Familie und die meines Freundes lebt in Italien, somit hatte ich schon recht früh eine Ahnung, dass ich in den nächsten Wochen wohl eher aus dem Homeoffice arbeiten werde. Der Tragekarton für den Computer steht übrigens noch unberührt links in der Ecke. Ich habe ihn nie in den Keller gebracht, in der Hoffnung, dass ich bald wieder alles einpacken und zurück ins Büro gehen kann. Die ersten meiner Kollegen kehren nun auch wieder ins Büro zurück und ich bin zuversichtlich, dass auch ich in 1-2 Wochen wieder umziehe.
Wie erlebst du persönlich die Corona-Pandemie?
Die erste Woche war geprägt von Angst und Unsicherheit, auch weil wir ständig von Familie und Freunden in Italien hörten, die es mit den Auswirkungen und Beschränkungen ja definitiv härter traf als uns in Deutschland. Das hat sich tatsächlich auch körperlich ein bisschen bemerkbar gemacht. Zum Glück – denn so nahm ich das sehr schnell zum Anlass aktiv gegenzusteuern. Yoga, Spaziergänge, Ausschlafen, proaktiv das Gespräch mit Kunden suchen, mich mit Kollegen austauschen und mich um finanzielle Unterstützung kümmern. Das hat geholfen, um ein Gefühl von Kontrolle wiederzuerlangen. Im Großen und Ganzen muss ich sagen froh zu sein, die Pandemie im „behüteten“ Deutschland erleben zu dürfen, und bin mir auch im Klaren darüber momentan sehr privilegiert zu sein. Wir haben keine Kinder, die wir bespaßen mussten, müssen finanziell auch nur auf uns selbst achten und mein Freund wurde direkt in Kurzarbeit geschickt. Das heißt wir hatten unglaublich viel Zeit für uns – so viel wie wir wahrscheinlich bis ins Rentenalter nicht mehr haben werden. Das haben wir ziemlich genossen. Ich würde sagen zu 95% kann ich positiv auf diese Zeit zurückblicken, die restlichen 5% waren von Stimmungsschwankungen geprägt, die natürlich nicht ohne waren – ich versuche jedoch aus diesen positive Schlüsse zu ziehen und zu lernen.
Hat sich diese Krise auf dein Auftragsbuch ausgewirkt?
Ich habe durch die Pandemie tatsächlich einen kompletten Umsatzeinbruch erlitten. Das liegt hauptsächlich daran, dass ich für Firmen, Kulturorganisation und Privatpersonen Veranstaltungen fotografiere, bzw. immer in direkten Kontakt zu den Menschen vor meiner Kamera stehe. All das war in den letzten Monaten einfach nicht erlaubt. In den ersten Wochen war ich noch damit beschäftigt vorherige Aufträge abzuschließen, danach habe ich die Zeit bewusst genutzt um meine Social Media-Kanäle und die Website auf Vordermann zu bringen und nun setze ich einfach alles daran neue Wege zu finden. Trotz Umsatzeinbruch ging für mich noch keine Welt unter, der finanzielle Part dieser Pandemie lässt mich relativ ruhig schlafen.
Gibt es bei euch staatliche Subventionen für selbstständige Fotografen? Hast du sie evtl. beantragt? Was ging dir durch den Kopf, als du den Kontoauszug gesehen hast?
In Bayern gibt es seit Anfang der Pandemie die Soforthilfe, welche auch für Soloselbstständige greift. Leider wurden anfangs die Konditionen dafür von der Regierung recht schwammig kommuniziert, unterschieden sich von Bundesland zu Bundesland und wurden gefühlt wöchentlich geändert. Das hat viele Kreative verärgert und verunsichert. Auch weil die Soforthilfe in Bayern nur Betriebskosten und keine privaten Lebenshaltungskosten deckt. Dafür müsste man Arbeitslosengeld beantragen, bzw. warten wir hier immer noch auf einen Bescheid des Staatsministeriums für Wirtschaft und Kunst, in dem es um einen monatlichen Zuschuss für Künstler der KSK geht.
Wenns um meine Finanzen geht, habe ich zum Glück früh gelernt einen kühlen Kopf zu bewahren und auch mit Maß zu wirtschaften. Ich habe erstmal tief eingeatmet und mir einen Überblick über meine Situation verschafft. Vor knapp einem Monat habe dann auch ich um die Soforthilfe angesucht, um meine monatlichen Betriebskosten decken zu können und nachdem ich lange mit mir selbst gerungen habe, habe ich vor ein paar Tagen auch einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Ob, wann und in welcher Höhe ich die Soforthilfe und das ALGII erhalte, steht aktuell noch in den Sternen, ich hoffe aber in den nächsten Tagen zumindest Bescheid zu kriegen um dann weitere Entscheidungen treffen zu können. Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar für diese Möglichkeit, auch wenn die Hilfen nicht annähernd meinen Umsatzeinbruch ausgleichen werden. In anderen Ländern, wie z.b. in Italien, gibt es weniger bis gar keine finanzielle Spritzen für Selbstständige um zu überleben, das muss einem bewusst sein.
Wie hat sich dein Privat- und Familienleben verändert? Was vermisst du im Moment am meisten?
Durch meine Arbeit als Fotografin bin ich normalerweise viel unterwegs, arbeite zu den unterschiedlichsten Zeiten, das fiel jetzt natürlich komplett weg. Ich habe das Gefühl mein Leben wurde in diesen Wochen dadurch ruhiger, geordneter, weniger hektisch, was mir sehr gut tut – ich denke ich werde auch nachher darauf achten, dass das so bleibt. In den letzten Wochen wurde mir sehr bewusst, was mir im Leben wichtig ist – man hatte viel Zeit um nach innen zu schauen und der inneren Stimme auch zuzuhören. Diese wichtigen Dinge sind natürlich auch die, die ich am meisten vermisse:
die Freiheit, spontan übers Wochenende meine Familie in Südtirol zu besuchen, die ich seit Winter nicht mehr gesehen habe, das Kaffee-Date mit der Freundin, den nächsten Urlaub zu buchen um ein kleines Stück Welt mehr zu entdecken, der Kreative Austausch mit anderen Fotografen in meinem Büro, mit meinem Freund durch die Stadt zu schlendern, einen Aperitif zu trinken und eine Pizza beim Lieblingsitaliener zu essen – das haben wir vorher regelmäßig gemacht.
Hast Du unter Corona neue Gewohnheiten, Strategien oder private Routinen entwickelt?
Ich habe in den letzten Wochen vieles in mein Leben wieder eingebaut wofür vorher irgendwie nie oder zu wenig Zeit war: mehr lesen, täglich spazieren gehen, mehr Sport. Ich merke aber auch, dass ich bewusster sowohl mit Geld, mit Ressourcen als auch mit meiner Zeit umgehe – das liegt mit Sicherheit auch daran, dass man nun mehr Zeit hat, um über solche Dinge zu reflektieren und gewisse Gewohnheiten und Routinen durchbrochen wurden. Egal ob es um große, wichtige Dinge geht, oder einfach darum Lebensmittel einmal in der Woche gebündelt und bewusst einzukaufen anstatt 3-4x in der Woche vor einem halb leeren Kühlschrank und dann an der Supermarktkasse zu stehen. Eine Gewohnheit, die mich aktuell sehr glücklich macht: der Sonntag ist für das Privatleben da! Seit 3-4 Wochen machen wir zudem Sonntag abends selbstgemachte Pizza und ich kann es kaum erwarten endlich auch Freunde dazu einzuladen.
Glaubst du, dass Corona dein Leben oder sogar deine Arbeit (deine Arbeitsweise) nachhaltig beeinflussen wird, ob es dir nun gefällt oder nicht?
Ich denke es braucht noch ein bisschen Zeit um zu sehen, welche weiteren Auswirkungen dieser Einschnitt auf unser Leben hat – ich werde mir mit Sicherheit in den nächsten Tagen nochmal die Zeit nehmen um darüber zu reflektieren was ich aus dem „alten Leben vor Corona“ noch mitnehmen möchte und was ich hinter mir lassen möchte, was ich selbst tun kann um nicht nur mein Leben, sondern auch das anderer positiv zu beeinflussen und was ich auch tun kann und muss um meine Arbeit zu sichern. Was ich auf jeden Fall mitnehmen werde, ist die Erkenntnis wie gerne ich meine Arbeit ausübe. Nach 2 Monaten Ruhe aufgrund von Corona, durfte ich gestern zum ersten Mal wieder für jemanden fotografieren und ich habe es einfach nur genossen meine Berufsfreiheit auszuüben, ein Privileg, das vielen oft nicht mehr bewusst ist.
Liebe Mirja, vielen Dank für Deine Impressionen! Halte durch und bleib gesund!
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