Krefeld geht die Transition von der einstigen Textilmetropole zu der kreativen, weltoffenen Großstadt von anno 2018 offensiv und optimistisch an. Ein wichtiges Element auf diesem Weg ist die ‘Krefelder Laufmasche’. Unter dem augenzwinkernden Titel wird die Innenstadt mit Baucontainern bespielt in denen junge, unkonventionelle ModedesignerInnen aus ganz Deutschland ihre Kreationen und Kreativansätze präsentieren.
‘Krefelder Laufmasche’
Eine Woche lang werden Baucontainer zu Showrooms und zum Finale wird die „Goldene Seidenschleife“ verliehen. Für den Soundtrack sorgen Straßenmusiker aus der Region. Zum Festival für alle Sinne wird die ‘Laufmasche’ durch die zahlreichen Gastronomen im bespielten Stadtraum. Asiatische und griechische Spezialitäten, Kuchen im Designcafé und nicht zuletzt auch vegane Kulinarik ‘Made in Krefeld’ sollen die Besucher rund um den Platz an der Alten Kirche verwöhnen. Eine Broschüre informiert detailliert über die 18 teilnehmenden Designer.
Die „Goldene Seidenschleife”
Schon seit fast 30 Jahren verleiht die Stadt Krefeld den Deutschen Modepreis „Goldene Seidenschleife”. Zu ihren prominenten Trägern zählen unter anderem Pierre Cardin, Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop. Dieses Jahr wird Oberbürgermeister Frank Meyer erstmals ein besonders innovatives Nachwuchsprojekt auszeichnen. Aus den Showrooms und Kollektionen der Krefelder Laufmasche 2018 hat die hochkarätig besetzte Jury drei Projekte für den Preis nominiert. Professionelle Mannequins werden die nominierten Kollektionen auf dem Laufsteg vorführen. Für Choreografie und Styling zeichnet die niederländische Modelagentur ‘sessibon‘ verantwortlich. Für den Groove sorgt DJ Theta Kavka alias Yannic Gerundt an den Decks.
Die Verleihungsparty findet am Feitag, 27. Juli 2018 um 18 Uhr in der ‘Alten Samtweberei’, Lewerentzstraße 104 statt. Der Eintritt ist frei. Die Fashionshow startet um 20.00 Uhr.
‘Krefelder Laufmasche’
Vom 21. bis 28. Juli 2018, täglich 12.00 bis 20.00 Uhr – freitags und samstags bis 22 Uhr
DESIGNBOTE stellt sechs DesignerInnen vor:
Trang Nguyen – ‘Romantic in Revolt’
Eine Symbiose aus Romantik und Technik
Der Romantic Cyborg, die crazy-charmante, aller Zeitrechnung enthobene Menschmaschine revoltiert still und zieht alle Blicke auf sich:
Mit glänzenden Materialien, reflektierenden Oberflächen und wattierter Fülle gehen Romantik und Technologie eine verwirrende Liaison ein. Ganz untechnoide Zartheit vermitteln eine ordentliche Dosis Strass, verführerische Perlen und kokette Lingeriestilistik mit Kräuseldetails an Ärmeln und Hals.
Konterkariert wird der romantische Grundton durch Elemente, wie man sie von Schutzkleidung kennt: Blasebalg-Taschen, Klettverschlüsse und Metallösen kommunizieren Unverwundbarkeit.
Die Kollektion ist geprägt vom Wechselspiel zwischen sportlichem Futurismus und Nostalgie, die von technologischem Fortschritt und romantischer Sehnsucht erzählen.
https://www.facebook.com/huyentrang.nguyen.90
Philippe Thomas – A Day At Karl Hugo
Die sanftere Seite des kontemporären Stils
Mode visualisiert Träume. Der junge Modeschöpfer aus dem deutschsprachigen Ostbelgien gesteht in einem Radiointerview seine frühe Leidenschaft für den Kleiderschrank der Großeltern. Nach dem Abschluss an der Modeschule in Düsseldorf lernte er die industrielle Seite der Modeproduktion kennen und gestaltete anschließend noble Accessoires aus Leder.
Philippe Thomas sieht Mode als Kunstform. Seine Leidenschaft gilt dem Thema ‘Jacke’ und dem Materialmix, den er in Blazer, Schals und Lederaccessoires umsetzt. Bei der Materialwahl besteht Philippe Thomas auf Nachhaltigkeit.
Sein Leder bezieht Thomas vom belgischen Jagdverband. Er produziert in Düsseldorf und Ostbelgien und seine zeitlos-eleganten Kollektionen sind schon in Luxemburg, Belgien und der Schweiz erhältlich.
https://www.philippethomasdesign.com/
Nicole Turina – Share -Sessed
Ausschnitte eines Lebens
Inspiriert von der narzistischen Verführungskraft der „Influencer“ in den virtuellen Arenen der Sozialen Netzwerke entstand „SHARE – SESSED“.
Alle Stücke zeigen ausgefallene Features: Prints und Emoticons spielen auf virtuellen Inszenierungen an. Unversäuberte, fransige und ungebügelten Abschlüsse stehen bei Turina für das im Grunde garnicht so perfekte Leben der angeblich so perfekten Selbstinszenierer. Der ‘Hashtag’ ist ein immer wiederkehrendes Motiv.
Als Alien im Materialmix kommt Fensterfolie zum Einsatz. Influencerin Marie Czuczman modelte die Stücke online.
Florian Schulze – Put Me Back Together Again
Schönheit im vermeintlich „Unschönen“
Inspiriert durch die obdachlosen ‘Rag Ladies’ US-amerikanischer Metropolen entstand eine Kollektion, die mit dem Verschlissenen spielt und den Makel höchst spannend zu textilen Preziosen umdeutet und aufwertet. Die farbliche Klammer bildet dabei immer ein düsteres Schwarz.
Dania Mollemeier – Straightforward
„There is no beauty in the finest cloth if it makes hunger and unhappiness.“
Mollemeier hält der Industrie dieses Ghandi-Zitat als Spiegel vor. Es hat sie zu einer nachhaltigen Premiumkollektion angeregt, die Ästhetik und Ethik glaubwürdig versöhnen will. Die geradlinigen, cleanen Designs der Kollektion spiegeln eine Labelphilosophie wider, die durch nachhaltige Ansätze bessere soziale und ökologische Standards in der Modebranche eine transparente Wertschöpfungskette anstrebt.
Zum Einsatz kamen ausschließlich Naturfasern wie Hanf, die Zellulosefaser ‘Tencel’ und tierschonend gewonnene Ahimsa-Seide, die allen Teilen sichtbare Exklusivität verleihen. Gegensätze wie Paspelbänder, Teilungsnähte und transparente, fließende Stoffe wie Seide prallen auf schweren, voluminösen Nickistoff. Die vertikalen Linien und weiten Schnitte werden horizontal durch betonte Taillen strukturiert. Ihre schlicht, geradlinigen Silhouetten gewinnen durch transparente Inserts und Schlitze femininen Charme.
Annika Balter – Vintagepatch
Upcycling und Traditionelle Technik
Die Kollektion besteht zu 95% aus recycelten und aufgewerteten Reststoffen. Die Rohmaterialien bezieht die Designerin von lokalen Unternehmen. Die handwerkliche Patchwork-Technik erlaubte weniger Betuchten die Fertigung von Gebrauchsgegenständen wie warme Decken aus ausgedienter Kleidung. Die Weiterentwicklung dieser uralten Philosophie zur Verlängerung des textilen Produktlebens prägt die gesamte Kollektion.
Die Kooperation mit lokalen Unternehmen zeitigt bei diesem bei allem experimentellen zusätzliche positive ökologische Effekte. Als Summe der kreativen und handwerklich aufwendigen Resteverwertung entstehen textile Kunstwerke.
DESIGNBOTE sprach mit Ulrich Cloos, dem Leiter des Krefelder Stadtmarketings:
Was ist die Idee für die Laufmasche und wie kam es dazu?
Die Krefelder Laufmasche ist ein Mosaikstein im Krefelder Perspektivwechsel. Damit ist sie ein wichtiges Teil im Gesamtkunstwerk eines neuen Stadtbildes. Sie lädt dazu ein, Plätze in der Krefelder Innenstadt zu entdecken bzw. neu zu entdecken. Sie lädt auch dazu ein, sich auf die Innenstadt einzulassen und sie als modernen Experimentierraum, in dem Unerwartetes möglich ist, zu erleben. Schließlich lädt sie auch dazu ein, selbst zum Schrittmacher, zum Impulsgeber, zum Aneigner zu werden. Der Titel kokettiert mit einem textilen Defekt und spielt damit selbstironisch-liebevoll auf alles Unperfekte und Raue in der Stadt an. Auch Lauf und Masche kommen isoliert zur Geltung. Die “Intervention” beginnt schließlich mit dem Schubkarrenlauf am 19. Juli. Und zum Begriff Masche darf sich jeder eine eigene Meinung bilden.
Wie ist das Laufmasche-Profil in Bezug zur Straßenmodenschau?
Das Profil der Laufmasche ist es, Projekte von Nachwuchs-Textildesignerinnen und -designern zu präsentieren, die auf der Suche nach dem besonderen Material, einer neuen Funktion, einer einzigartigen Geschichte sind oder eine neue Technik ausprobieren und damit besonders gut zur Philosophie des Krefelder Perspektivwechsels passen. Bei der Laufmasche zeigen sich experimentierfreudige und erfindungsreiche Kreative, die das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen haben. Anders als bei der Straßenmodenschau, die inzwischen als “Krefeld pur” vom Einzelhandel fortgeführt wird, geht es nicht um den Abverkauf von Kleidung, sondern um eine Positionierung der Stadt als urbanes Kraftfeld.
Können Sie das Präsentations-Konzept im Stadtraum beschreiben?
Zur Krefelder Laufmasche präsentieren sich die Kreativen in 20 Baucontainern, die auf zentralen Innenstadtplätzen stehen. Die gesamte Aktion erhält damit einen interventionistischen Ansatz. Die Kreativen, ihre Designprojekte und der Präsentationsort verbinden sich zu einer Metapher für ein modernes Stadtbild: als Ort der Veränderung, des Umbruchs, des stetigen Wandels, der Solidarität und der Toleranz.
Verstärkt wird die Präsentation durch vegane Küche, durch Straßenmusiker durch Möblierung und Dekoration. Die Krefelder Laufmasche ist ein Modedesignfestival, aber ganz sicher auch ein Urbanitätsfestival.
Welcher Rhythmus ist für die Laufmasche vorgesehen?
Die Krefelder Laufmasche ist ein Experiment im Krefelder Perspektivwechsel. Ob und in welchem Rhythmus sie wieder stattfindet, entscheidet sich im Anschluss.
Steht die Laufmasche in einem Kontext zum urbania Projekt Perspektivwechsel?
Die Krefelder Laufmasche ist Teil des Krefelder Perspektivwechsels, mit dem die Stadt Krefeld sich auf das Stadtjubiläum im Jahr 2023 vorbereitet. Ziel des Krefelder Perspektivwechsel ist es, die Seidenstadt als experimentierfreudige, erfindungsreiche und unabhängig-weltoffene Stadt zu positionieren. Für den Krefelder Perspektivwechsel hat das Stadtmarketing unter anderem bereits den German Brand Award erhalten.
Der Stern als aktive Samt-und Seidenstadt ist verblasst. Woher bezieht KR anno 20018 das image- und identitätsstiftende Narrativ einer Textilstadt?
Aus dem nicht kopierbaren Stadtslogan “Stadt wie Samt und Seide” lässt sich nachvollziehbar und glaubwürdig die Postionierung als “experimentierfreudige, erfindungsreiche und unabhängig-weltoffene Stadt” herleiten. Das Narrativ im Jahr 2018 ist also nicht das einer Textilstadt, sondern eines Stadtgefühls, einer Stadtprogrammatik einer Stadtphilosophie. Die Geschichte von Samt und Seide ist die Ursache für den Erfindungsreichtum in Wirtschaft und Industrie, die Experimentierfreude und Weltoffentheit in Kultur und Bildung, die Toleranz und Integrationsstärke in Stadtgesellschaft und Brauchtum und letztlich auch die bis heute beeindruckenden Erfolge im Sport.
Gibt es noch Textilindustrie und was macht sie?
Ein Leuchtturm für die Krefelder Textilindustrie ist bespielsweise das Unternehmen Verseidag mit seiner hochtechnisierten Produktpalette zum Beispiel in der Ballistik, für die Klimatisierung und Architektur weltweit.
20 Seecontainer. Super Idee. Warum Seecontainer und Was ist drin?
Es handelt sich um 20 Baucontainer. Zusammen mit den 119 Schubkarren als mobile Blumenbeete prägen sie das Bild einer veränderungsbereiten experimentierfreudigen Stadt. Innenstädte verhandeln gerade ihre Zukunft neu. Das Krefelder Stadtmarketing verfolgt dabei die Philosophie, auf die individuellen Aspekte der Stadt zu setzen und diese über die Veranstaltungsformate des Krefelder Perspektivwechsels konturiert herauszuarbeiten.
Woher kommen die 18 TeilnehmerInnen und wer hat nach welchen Kriterien gecastet bzw. kuratiert?
Die Designerinnen und Designer kommen tatsächlich aus ganz Deutschland. Auf unsere Ausschreibung an die deutschen und benelux-Modeschulen gab es 48 Bewerbungen. Leider konnten aus Platzgründen nur 18 Projekte als Nominierte für die Goldene Seidenschleife berücksichtigt werden. Und diese Projekte erzählen ganz individuelle Geschichten, und bringen das durch Verarbeitungstechnik, durch Funktionen, durch Materialeinsatz und Design zum Ausdruck. Ganz deutlich wird: Mode muss kein Ausdruck für eine Konsumgesellschaft sein. Da wird mit 3 D-Stricktechnik experimentiert, um möglichst Abfälle zu vermeiden, da wird aus alten Stoffen Neues gemacht, um einen verantwortungsvollen Wirtschaftskreislauf darzustellen, da wird mutig mit Second-Hand kombiniert, da werden Naturfasern wie Hanf, Tencel oder Ahimsa Seide eingesetzt, da werden Masken als Accessoires verwandt, um auf das Schicksal Obdachloser Frauen aufmerksam zu machen, da wird die Anonymität unserer virtuellen Welt thematisiert, immer wieder geht es um den Umgang mit der Natur und auch vor dem Einsatz von Fensterfolie wird nicht zurückgeschreckt.
Und bei der Krefelder Laufmasche sind alle diese wunderbaren Menschen während einer ganzen Woche persönlich in Krefeld anwesend.
Zielt die Veranstaltung auf nachhaltige Wirkungen? Welche ggf.?
Da die Veranstaltung Teil des Krefelder Perspektivwechsels ist, geht es um eine nachhaltige Positionierung der Stadt Krefeld als Ort, an dem sich kreative Menschen wohlfühlen, die für sich persönlich oder ihr unternehmerisches Engagement ein inspirierendes ehrliches Umfeld suchen.
Haben Sie mit der niederländischen / limburgischen Modeszene gesprochen? Würden Sie?
Die Ausschreibung zur Goldenen Seidenschleife haben wir nicht nur an den Deutschen Modeschulen platziert, sondern auch im Benelux-Bereich.
Die Goldene Seidenschleife wurde 1966 erstmals an Pierre Cardin verliehen. Können Sie aus dem Ärmel noch mehr ausgezeichnete Modemenschen benennen?
Ja natürlich – Karl Lagerfeld zum Beispiel oder Wolfang Joop, auch Claude Montana. Diese Größen der Branchen haben, wie auch Pierre Cardin 1966, das Goldene Spinnrad erhalten. Die Goldene Seidenschleife ging dann ab 1994 zum Beispiel an Cerruti, Bogner, Boss, Escada und zuletzt 2013 an Thomas Rath. Und jetzt geht die neue “Goldene Seidenschleife” an einen mutigen Menschen, der mit seiner Kreativität auf der Suche nach Zukunft ist und nicht vor dem Bruch mit Konventionen zurückschreckt.
Ich sah schräges, charmant beklopptes und einiges durchaus Tragbares, Marktreifes in der Broschüre. Welche Kriterien legt die vielköpfige und multidisziplinäre Seidenschleifen-Jury bei der Beurteilung an?
Bei der Ausschreibung war das Experimentieren mit Materialien, Techniken oder Schnitten, die Suche nach dem Besonderen oder Einzigartigen und die Kombination von Mode mit Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft die große Leitlinie. Hieran haben sich alle Bewerberinnen und Bewerber orientiert. Alle Nominierten haben diese Gedanken auf sehr ansprechende Weise “ausformuliert”.
Herr Cloos, vielen Dank dass Sie Zeit für uns hatten!
Bildquelle: Flyer Krefelder Laufmasche
0 Kommentare