‘Circle of Heritage’ – Wenn Porzellan den Kreis schließt
Van Katwijk (*1994, Utrecht/NL) ist fasziniert von der belebten und unbelebten Natur, in ihrer ganzen Reinheit und Unvollkommenheit. Weil sie Tiere und Natur liebt, versucht sie, die Schönheit, die sie in ihnen sieht, herauszuarbeiten. Oftmals tut sie dies durch (Wieder-) Verwendung natürlicher Formen, Farben und Materialien. Materialien, Taktilität und Farbe sind in ihren Arbeiten wichtige Themen. Katwijk will Widersprüche und Tabus sichtbar machen, vermeidet aber zu urteilen. Deshalb ist ihr Ansatz unkonventionell, diskutiert bestehende Regeln, Gewohnheiten und Dogmen und verlässt ausgetretene Pfade, um Neues zu schaffen.
“Ich möchte einen Mehrwert schaffen, indem ich unkonventionelle Entscheidungen treffe, Menschen zum Nachdenken anrege und inspiriere. Meine Konzepte werden von den Benutzern mit deren eigenen Gedanken ergänzt.”
Mit ihren philosophisch tiefen Konzepten bewegt sich van Katwijk in spannenden Randzonen von Kunst und Design. Sie schafft ‘Produkte’ bei denen sich symbolischer und praktischer Nutzen in Balance befinden. Die durch ihr Betrachten oder ihre Benutzung ausgelösten Empfindungen können Gefühle von ‘Wabi-Sabi’ auslösen und sensibilisieren uns für die Schönheit des Unvollkommenen und Vergänglichen.
“Alle Dinge sind unvollständig. Alle Dinge, auch das Universum selbst, befinden sich in einem ununterbrochenen Zustand des Werdens oder der Auflösung. Oftmals bezeichnen wir Augenblicke oder einzelne Punkte entlang des Weges als “beendet” oder “vollendet”, aber wann wird das Schicksal endlich Wirklichkeit? Ist die Pflanze vollständig, wenn sie blüht? Wenn sie Samen trägt? Wenn die Samen keimen? Wenn alles zu Kompost wird?”
–Wabi-Sabi Weisheiten für Künstler, Gestalter und Philosophen von Leonard Koren
DESIGNBOTE Redakteur Wolfgang Linneweber sprach mit Billie van Katwijk
Billie, sehen Sie sich selbst als Künstler oder Designer?
“Eher als Designer. Ich bin zu pragmatisch für einen Künstler. Mit meinen Projekten hoffe ich, Menschen inspirieren zu können, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und das, was als ‘wertlos’ angesehen wird, aufzuwerten. Ich bin ein kreativer Denker mit innovativen Ideen, die ich verwirkliche, indem ich verschiedene Menschen zusammenbringe und kooperiere.”
Sie sind erst 23, schon so philosophisch engagiert und so gar nicht Mainstream. Wie kommt das?
“Ich habe gelernt, selbständig zu denken und dem zu folgen, was mich fasziniert. Wenn man seinen eigenen Weg geht, um etwas Neues zu erschaffen, ist man nicht so sehr Mainstream. Wenn ich mich für ein Thema interessiere, dann tauche ich ganz darin ein. Ich recherchiere, indem ich zum Beispiel lese, beobachte und Leute befrage. Auf diese Weise werde ich selbst ein wenig zum Experten für ein bestimmtes Thema. Dabei denke ich viel nach und mache mir gleichzeitig Notizen. So entsteht ein Konzept, das ich dann materialisiere und ausarbeite.”
Woher stammt das Konzept von ‘Circle of Heritage’?
“Vor dem Abschluss wollte ich noch ein Objekt des Gedenkens anfertigen. Einerseits, weil ich es sehr speziell finde, als Designer etwas sehr Wertvolles zu machen (für die Hinterbliebenen) und andererseits habe ich mich schon immer von Körpern inspiriert gefühlt und wollte etwas Schönes für den toten Körper schaffen. Daraufhin habe ich mich mit dem Thema Einäscherung beschäftigt. Dabei fand ich heraus, dass ein Einäscherungsofen so hoch erhitzt wird (ca. 1100 Grad), dass der ganze Körper verbrennt und nur die Knochen übrig bleiben. Die Knochen werden dann im Krematorium nach der Einäscherung zerkleinert, und das ist die Asche, die die Hinterbliebenen bekommen. Die Krematorium-Asche ist damit im Grunde Knochenasche. Ich hatte schon Grundkenntnisse in Keramik und wusste deshalb, dass Knochenasche der Hauptbestandteil von Bone China ist. Dann habe ich eine Materialrecherche durchgeführt, um ein Knochenporzellan aus solch einer Asche zu entwickeln. Während der Recherchen verstarb mein Großvater. Das war für mich das erste Mal, dass ich einen Toten sah. Da bekam das Projekt eine ganz andere Bedeutung. Der Tod rückte näher an mich heran und das Bedürfnis nach einer greifbaren Erinnerung wurde sehr persönlich.”
Zu Ihren philosophischen Einflüssen zählen die “Wabi Sabi”-Philosophie und die römischen Schutzgötter, die “Laren”? Was sind die Gründe dafür?
“Persönlich bin ich nicht religiös, aber ganz unbhängig vom Glauben oder Überzeugungen empfinde ich es als tröstlichen Gedanken, dass etwas von uns in irgendeiner Weise nach dem Tod weiterlebt. Als Designer ließ ich mich von Wabi Sabi und der damit verbundenen Ästhetik inspirieren. Ich fand, dass die Idee, dass etwas nie fertig oder vollständig ist, gut zu dem Projekt ‘Circle of Heritage’ passt.”
(Quelle: Wabi-Sabi spiritual values, Wabi sabi for artists designers poets and philosophers by Leonard Koren)
Inspiriert wurde ich auch von den römischen Hausgöttern, den ‘Laren’. Sie waren die Geister der Ahnen, die im Haus ohne Zutun eines Priesters auf eine sehr persönliche Weise verehrt wurden. (Quelle: In Pompeï sah ich einen Hausaltar aus Spitze. Mehr Infos zu Wikipedia)
Ich möchte dem toten Körper einen neuen Platz im Alltag geben indem ich im Haus eine Gedenkstätte für persönliche Rituale mit Raum für Gefühle und Erinnerungen errichte.”
Immer mehr Menschen, schon 63%, lassen sich einäschern. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
“Das ist sehr kulturabhängig. In Japan werden mehr als 95% der Menschen verbrannt, und in Polen dagegen weniger als 10%. (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_cremation_rate)
Tradition und Religion spielen also wichtige Rollen. In den Niederlanden wollen immer mehr Menschen eingeäschert werden. Es ist zwar nicht mein Fachgebiet, aber ich denke, es liegt daran, dass es heutzutage von der Kirche mehr akzeptiert wird und dass ganz allgemein weniger Menschen Wert auf religiöse Traditionen legen. Außerdem sind die Menschen heutzutage vielleicht weniger an einen bestimmten Ort gebunden, auch nach ihren Tod. Aber auch die Kosten werden wohl bei der Entscheidung für eine Feuerbestattung eine Rolle spielen.”
Hatten Sie schon vorher keramische Kenntnisse?
“Ja, ich hatte Grundkenntnisse vom Material und den Techniken. An der Design Academy Eindhoven hatte ich auch einen Wahlkurs in Keramik belegt. Aber diese Materialuntersuchung war wirklich eine höhere Stufe. Ich habe viel Rat und Unterstützung von Fachleuten erhalten. Ohne sie wäre es nicht möglich gewesen.”
Woher kommt eigentlich die (wieder-) verwendete (menschliche) Asche? Sie schreiben, dass Sie Porzellanmasse aus den Überresten eines verbrannten Leichnams zu fünf Litern Porzellanmasse herstellen könnten.
“Ich musste viel Materialforschung betreiben, bevor ich ein erfolgreiches Rezept entwickelt hatte. Für die Tests hatte ich Asche aus einem Tierkrematorium genutzt. Weil mehrere Tiere zusammen verbrannt werden, kann der Besitzer eines Tieres ‘seine’ Asche nicht zurückbekommen. Keine Ahnung, von welchen Tieren die Asche stammte, aber ich vermute von Hunden, weil ich Metallringe von Halsbändern in der Asche gefunden habe. Ich habe aber auch Kremationsaschen von einem Pferd und einer Ziege bekommen, aus denen ich auch Bone China gemacht habe. Jetzt arbeite ich im Auftrag von Hinterbliebenen, die sich eine Schale aus der Asche ihrer verstorbenen Lieben wünschen.”
Wie verläuft der Herstellungsprozess von Bone China? Wie ist die chemische Zusammensetzung der Masse? Ich erfuhr, dass Menschenasche Eisen enthält. Wird das Porzellan dann überhaupt weiß? Was bestimmt die Farben- und Texturen von Krematoriumsasche?
“Normales Knochenporzellan ist weiß und kann durchscheinende Eigenschaften haben. Das Knochenporzellan der Kremationsasche ist dagegen sehr unterschiedlich gefärbt. Normales Bone-China besteht aus Knochenasche von gereinigten Knochen. Aber die Achse einer Feuerbestattung ist ja nicht nur die Asche der Knochen, sondern die eines ganzen Körpers. Eisen, Mineralien und Salze aus dem Blut zum Beispiel schlagen sich bei der Einäscherung auf den Knochen nieder. Die Farbe des Porzellans ist bei jeder Asche verschieden. Denn das Eisen und die Mineralien aus der Kremationsasche wirken als Reaktion auf die hohen Temperaturen des Keramikofens färbend. Die Farbe ist also nicht vorhersagbar und für jede Asche einzigartig. Aus Erfahrung weiß ich, dass Porzellan weiß bis warmbraun mit gesprenkelten Details oder eben auch gleichmäßig werden kann.”
Was passiert eigentlich mit Kunstgelenken, Zahnfüllungen usw.?
“Nach der Einäscherung werden Metalle, also Schrauben und Klammern des Sarges, chirurgische Metalle usw. aus der Asche entfernt. Die niederländischen Krematorien sammeln die Chirurgie- und Edelmetalle. Im Auftrag der ‘Landelijke Vereniging van Crematoria (LVC)’ werden diese Metalle von ‘Orthometals’ recycelt. Der Erlös wird dem Dr. C. J. Vaillant Fonds (der Wohltätigkeitsstiftung der LVC) nach Abzug der Kosten zur Verfügung gestellt. Dieser Fonds verteilt dann die Gelder an Wohltätigkeitsorganisationen wie die Niederländische Herzstiftung, den Aidsfonds, aber auch an Dutzende kleinerer Wohltätigkeitsorganisationen.”
Wer sind die Kunden für Bone China aus menschlicher Asche? Hinterbliebene, die Trost suchen? Du selbst?
“Ich fertige die Schalen im Auftrag von Hinterbliebenen.”
Ich lebe in der Nähe von Tegelen/Limburg: Hier gibt es viel Keramikindustrie und farbenfrohe Steinzeugteller, die an geliebte Menschen erinnern. Meine eigene Ascheachse in einer Urne, die aus der Asche meiner Vorfahren gemacht wurde? Geht das?
“Ja, es ist vieles machbar.”
Andere, frühere Projekte von Ihnen hatten oft auch Körper-/ Gender- oder ‘Fashion’ -Bezug: Sie lieben zum Beispiel Nerz und brechen eine Lanze für den Nerzpelz. Haben Sie nie Gegenwind von der Animal Liberation Front bekommen? ;8)
“Nein (noch) nicht. Dieses Projekt hat auch in den Medien wenig Beachtung gefunden, so dass die Tierschützer wahrscheinlich garnicht von seiner Existenz wissen. Während der Dutch Design Week hatte ich ein Gespräch mit einer Veganerin. Die war wütend auf mich, weil ich in ihren Augen mit dem Projekt ‘Ventri’ die Fleischindustrie gefördert hätte, was kurzfristig dazu führen würde, dass noch mehr Tiere getötet würden. Ich war da anderer Meinung als sie, weil ich mit einem Abfallprodukt arbeite, dem ich sogar noch einen Mehrwert hinzufüge. Und das, gerade, um die Menschen für diese Branche zu sensibilisieren und das ganze Tier zu respektieren und zu wertschätzen. Wir wurden uns leider nicht einig.”
Sie haben schöne Blumen plattgehauen um schöne (Zufalls-) Muster) zu bekommen. Und sie haben doch tatsächlich Kuhmägen (Pansen) zu luxuriös aussehenden Accessoires veredelt. Das ist alles nicht gerade alltäglich … Warum tun Sie so etwas?
“Ich sehe eben viel Schönheit an unerwarteten Orten. Außerdem bin ich fasziniert von Leben und Tod, der Natur in ihrer ganzen Reinheit und Unvollkommenheit. Durch meine Liebe zu Tieren und der Natur versuche ich, die Schönheit, die ich in ihnen sehe, zu zeigen. Ich tue dies oft durch die (Wieder-) Verwendung von Naturmaterialien, Farben und Formen. Auch Haptik und Farbe sind wichtige Themen in meiner Arbeit. Ich glaube daran, Widersprüche und Tabus ohne Wertung zu zeigen und verfolge einen unkonventionellen Ansatz, bei dem ich bestehende Regeln, Gewohnheiten und Dogmen hinterfrage und abseits der ausgetretenen Pfade etwas Neues schaffen will. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass dem, was als wertlos angesehen wird, mit einer anderen Sichtweise Mehrwert hinzugefügt werden kann. Mithilfe von Design möchte ich Menschen inspirieren und mit ihnen ins Gespräch kommen.”
Liegen die Gründe für Ihre Berufswahl in Ihrer persönlichen Geschichte?
“Als Designer faszinieren mich Natur, Körper und Tiere. Ich sehe darin viel Schönheit und das ist für mich immer eine wichtige Inspirationsquelle. Als Designerin versuche ich, die Schönheit, die ich in ihnen sehe, zu zeigen. Ich bin mit Tieren und in der Natur aufgewachsen, das ist also kein Zufall. Und meine Eltern haben mich auch immer ermutigt, kreativ und unabhängig zu denken.”
Billie, vielen Dank!
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