Unsere neue Website geht morgen online! Vielleicht sollte nochmal schnell jemand drüberlesen?“ – das Lektorat einer Website steht zwar ganz am Ende eines Launch-Prozesses, sollte aber keinesfalls unterschätzt werden. Denn ein fehlerfreier und professioneller Text wirft ein gutes Licht auf das Unternehmen und weckt Vertrauen beim Leser bzw. User. „Und wie lange brauchen Sie dafür?“ – das ist eine sehr gute Frage, die leider gar nicht so leicht zu beantworten ist.
Aufwand abschätzen – aber wie?
Wie kann ich also den Aufwand einschätzen und dem Auftraggeber ein Angebot machen? Bei einer Website mit nur wenig zu lektorierendem Content könnte man mit Copy/Paste arbeiten und die Texte in MS Word mit der Funktion „Wörter zählen“ auswerten. Bei einer umfangreichen Website mit vielen Subseiten ist dies allerdings zu aufwendig und würde recht viel Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem passiert es dabei leicht, dass man Seiten übersieht oder Text, der nur nach bestimmten Aktionen des Users erscheint (z. B. beim Abschicken eines Formulars), nicht erfasst. Entweder greife ich in diesem Fall also auf einen reichlichen Erfahrungsschatz zurück, und schätze Pi mal Daumen, oder ich verwende ein Tool, um die Texte aus der Website auszulesen. HTTrack (www.httrack.com) oder WebBudget (www.webbudget.com) kopieren die gesamte Website auf die Festplatte, sodass die Dateien im Anschluss mit MS Word oder einem Tool wie AnyCount (www.anycount.com) gezählt werden können. Problematisch sind dabei Texte in Bildern, wie z. B. Banner, die höchstens noch über eine OCR-Software extrahiert werden können. Auf Basis der (ungefähren) Zeichenzahl kann nun die Anzahl der Normseiten bestimmt und der Aufwand realistisch beziffert werden.
Fehler markieren und Korrekturen einfügen
Als nächster Schritt soll der Rotstift auf der Website angelegt werden und es stellt sich die Frage, wie gefundene Fehler markiert und die Korrekturen eingepflegt werden.
Wurde die Website mit einem Content-Management-System erstellt, können die Korrekturen direkt im System vorgenommen werden. Dafür muss der Auftraggeber dem Lektor ein gewisses Vertrauen entgegenbringen – leider sind die Log-Funktionen nicht immer so ausgereift, dass die Korrekturen und somit der Arbeitsaufwand des Lektors ersichtlich sind; und bisweilen gehen die Korrekturen sofort online. Weiterhin muss der Lektor ein gewisses Verständnis für den Umgang mit einem Content-Management-System mitbringen. Schwierig ist dabei außerdem, dass der Lektor auch hinsichtlich Stilfragen, Umformulierungen usw. unmittelbar eine Entscheidung treffen muss (obwohl er vielleicht nur eine Empfehlung aussprechen möchte) und den Auftraggeber ggf. gesondert auf bestimmte Stellen aufmerksam machen muss, z. B. über Screenshots.
Können die Korrekturen nicht über einen Editor eingepflegt werden, sind Screenshots eine gangbare Möglichkeit, den Auftraggeber auf Tippfehler und Co. aufmerksam zu machen. Über Tools wie SnagIt (www.techsmith.com/snagit.html) und Screenpresso (www.screenpresso.de) können auch Seiten, die gescrollt werden müssen, in einem Screenshot abgebildet, markiert und kommentiert werden. Da der Text in den Screenshots in der Regel nicht als solcher erkannt wird, kann er nicht so genau markiert werden, wie z. B. in einem PDF-Dokument. Das übliche Rüstzeug, das beim Korrigieren mit Rotstift auf Papier zum Einsatz kommt, wie die Korrekturzeichen nach DIN 16511, ist mit Maus und Tastatur eher wenig praktikabel. Es ist also eine Kunst für sich, die Korrekturen so zu formulieren, dass der Bearbeiter sie im Anschluss korrekt einpflegt. Gerade wenn Nicht-Muttersprachler das Einpflegen übernehmen – wie es bei übersetzten Websites nicht selten vorkommt – können neue Fehler auftreten (z. B. bei Worttrennungen, die sich durch den veränderten Text ergeben), sodass eine weitere Korrekturschleife notwendig wird.
Wurden die Texte mithilfe eines Tools extrahiert, können diese Dateien in der Regel mit MS Word und der Funktion „Änderungen nachverfolgen“ bearbeitet werden. Für denjenigen, der die Korrekturen einpflegt, kann das jedoch zu einem aufwendigen Projekt werden, da er keine graphischen Anhaltspunkte für die Suche der entsprechenden Stellen auf der Website hat.
Schwierigkeiten beim Korrigieren
Die Rechtschreibkorrektur von MS Word ist ein dankbarer Einstieg beim Lektorat, da Buchstabendreher und doppelte Leerzeichen schnell erkannt werden. Auch bei einigen Browsern (wie z. B. aktuellen Versionen von Google Chrome) werden unbekannte Wörter in Eingabefeldern mit der typischen Unterkringelung markiert, sodass man bei der Korrektur im Content-Management-System zumindest hilfreiche Hinweise bekommt, wo sich ein Fehler eingeschlichen haben könnte. Arbeitet man mit Screenshots, muss man jedoch etwas genauer hinsehen, da es diese kleine Hilfestellung nicht gibt. Neben rein orthographischen Fehlern, Grammatikfehlern und Korrekturen im Bereich von Stil, Kohärenz (logischer Zusammenhang) und Kohäsion (sprachlicher Zusammenhang), können bei Websites auch weitere den Text betreffende Empfehlungen ausgesprochen werden: Wurden die Zeilenabstände auf allen Seiten gleich gesetzt? Wurden nicht zu viele Versalien eingesetzt? Sind die Texte sinnhaft platziert? Soll eine Suchmaschinen-Optimierung (SEO) des Textes durchgeführt werden? Diese Fragen sollten in jedem Fall vorab mit dem Auftraggeber geklärt werden.
Wie mach’ ich es denn nun?
Bei dem Lektorat einer Website ist es nicht mit „ich schau mal eben drüber“ getan. Es müssen vorab einige Details mit dem Auftraggeber geklärt werden – ob die Texte separat zur Verfügung gestellt, wie die Korrekturen markiert und eingepflegt und welche Anforderungen an das Lektorat gestellt werden. Wie wir gesehen haben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, dem Auftraggeber die Korrekturen zu senden und verschiedene Probleme, die damit einhergehen: direkt im Content-Management-System, über Screenshots, über eine Textextraktion und Korrektur in MS Word oder einem anderen Textbearbeitungstool. Weiterhin muss geklärt werden, ob nur auf Rechtschreib- und Grammatikfehler geachtet werden soll, ob zusätzlich auch Stil, Kohärenz und Kohäsion kommentiert und typographische Auffälligkeiten benannt oder die Texte auch fürs Netz optimiert werden sollen (SEO).
Letztendlich kommt es darauf an, welche Gegebenheiten bei einem speziellen Auftrag vorliegen. Eine Entscheidung sollte stets in Absprache mit dem Auftraggeber getroffen werden – und dabei ist es in der Regel der richtige Weg, verschiedene Möglichkeiten anzubieten, und genau die hervorzuheben, die tatsächlich am meisten Sinn für beide Seiten macht.
Bildquelle:
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