Handbuch Handlettering

Schreiben Sie noch mit der Hand? Besitzen Sie einen Füllfederhalter? Ist Ihre Handschrift auch für Ihre Mitmenschen lesbar? Wenn Sie drei Mal mit “Ja!” geantwortet haben, dann haben Sie den meisten des Schreibens noch Mächtigen einiges voraus: Sie sind nämlich in der Lage, Ihre Gedanken handschriftlich festzuhalten und zu vermitteln.
In Zeiten von 215,3 Milliarden E-Mails die täglich weltweit versendet werden, sieht es fast danach aus, als wäre das Schreiben eine aussterbende Kunst. Die motorische Koordinationsleistung zwischen Hand und Hirn überfordert inzwischen viele Schüler so sehr, dass das Training einer individuellen Handschrift vielerorts schlicht aufgegeben wurde.
Um so verdienstvoller ist der Versuch der Kommunikationsdesignerin, Illustratorin und Buchhändlerin Chris Campe, ein ‘Handbuch Handlettering’ zu schreiben.

Anders als bei der Kalligrafie, die sich aus der gestischen Schreibbewegung entwickelt, erklärt Campe schon eingangs den Begriff Lettering als gezeichnete, illustrative Schrift, als Schnittmenge von Schriftgestaltung und Illustration. Anschließend beweist sie anschaulich, wie umwerfend charmant handgeschriebene Schriften doch sein können und stellt vielfältige Einsatzgebiete vor, um ihre LeserInnen vom Computerscreen weg und behutsam an die manuelle Gestaltung von Lettern und Schriften heranzuführen. Zu vielen der gezeigten Fertigkeiten hat die Autorin Übungen entwickelt.
Campe stellt die benötigten Werkzeuge vor und zeigt die mit ihnen möglichen stilbestimmenden Effekte: Runde und platte Pinsel, spitze und breite Federn, Füller, spitze und breite Schreinerbleistifte, Marker und Fineliner. Statt Kohlepapier kommt Transferpapier zum Einsatz das sich sogar wegradieren lässt.
Das Handbuch beweist, dass das Lettering, ähnlich wie die Illustration, Individualität, Spontaneität und Emotionen in Zeichen übersetzt. So wächst die Schrift weit über die Vermittlung von Information hinaus: Von ihrem Schöpfer emotional aufgeladen, verschmelzen Bild und Ornament zu sexy groovenden Headlines, zu Buchtiteln, Schriftzügen auf Verpackungen, zum mit Kreide geletterten Menü eines Restaurants oder zu swingenden Postern und einzigartigen Logos. Campe sensibilisiert ihre Leser für die zahllosen Inspirationen mit denen der Öffentliche Raum aufwartet: Neon-Reklamen, rostige Blechschilder, verwitterte Beschriftungen füttern das gestalterische Repertoire.
Wer jetzt noch einwendet, dass derlei Leitfäden nichts für engagierte Designstudenten geschweige denn arrivierte Praktiker wären, dem sei entgegnet, dass Campes Ansatz wertvolles Grundwissen über den Aufbau, die Konstruktion und die Interaktion von Schriftzeichen vermittelt.
Weil schließlich auch noch der Schritt zur Digitalisierung erläutert wird findet der kleine Kurs im dekorativen Schreiben dank Softwaretipps wieder den Anschluss ans technologische Jetzt. Ein Anhang mit Links und Literaturtipps macht das Handbuch komplett.
Gestaltungsprofis die täglich mit digitalisierten Fonts arbeiten und sich wieder den sinnlichen Zugang zur Schrift zurückerobern wollen, nützt dieses Buch genauso wie ambitionierten Ästheten die individuelle Glückwunschkarten, Poster oder Schaufensterbeschriftungen gestalten wollen. Auch weil Campe allen diesen Anwendern hilft, sich ein Stück längst verloren geglaubte Spontaneität zurückzuerobern, ist dieses Buch empfehlenswert.

Chris Campe
Handbuch Handlettering
Haupt Verlag
160 Seiten, zahlreiche Beispiele, Illustrationen und Übungsblätter
29,90 €